: Das ist nicht mehr mein Bier!
Der Sommer heizt ein, die Biergärten schäumen über. Zum Geschmack der meisten Biere fällt dem fröhlichen Zecher angesichts immer mehr industrieller Einheitsplempe allerdings kaum noch etwas ein. In ihre Werbeslogans investieren die großen Brauereien mehr Grips als in den Charakter des flüssigen Brotes. Ein Plädoyer für den Gerstensaft kleiner Hersteller hält ■ Eberhard Schäfer
Immer wieder dienstags, frühmorgens um vier, schleppt Uwe Obstfelder Holz und Kohlen. Erst heizt der Braumeister den Kessel seiner hundertjährigen Dampfmaschine an, dann schürt er das Feuer unter der Sudpfanne. Sobald die Maische aus geschrotetem Gerstenmalz und hauseigenem Quellwasser köchelt, umhüllt ein süßlicher Duft das Fachwerkhaus von der Größe einer mittleren Scheune. Dienstag ist Brautag in Singen. Am Rande des Dörfchens, das sich zwischen die Hügel im Süden Thüringens schmiegt, betreibt Obstfelder in vierter Generation die Privatbrauerei Schmitt. Altertümliche Gerätschaften, fast alle noch von Urgroßvater Richard Schmitt 1875 installiert, machen die Singener Biermanufaktur zu einem Museum für Tagestouristen.
Die Gäste werden im Biergarten nebenan vom Chef persönlich bedient – wenn er nicht gerade in großen Bottichen rührt jedenfalls. Nach absolvierter Besichtigung des antiken Sudhauses wird der Gerstensaft mit dem ungewöhnlich frischen Geschmack und der extrafein perlenden Kohlensäure probiert.
Besonders spritzig schmeckt Obstfelders Bier wohl auch deshalb, weil er es niemals länger als vier Wochen stehenläßt. Ganze 600 Hektoliter Bier nach Pilsner Art braut der stoische 32jährige Kleinerzeuger im Jahr. Nur vor Ort und in einigen Gaststätten ist sein Bier zu haben.
Kleine Brauereien wie die von Obstfelder sind rar geworden in deutschen Landen. Nur im traditionsverbundenen Bayern, besonders in Franken, kann sich die Vielfalt der Familienbetriebe halten. Im beschaulichen Marktflecken Amberg etwa koexistieren immerhin acht Brauereien. Nicht weit entfernt, in Forchheim, brauen fünf Konkurrenten.
Von den republikweit 1.269 Braustätten sind mehr als die Hälfte, genau 698 Betriebe, im weißblauen Freistaat zu Hause. Die Kleinen produzieren zwar größere Mengen als Obstfelder, aber ihr Jahresausstoß ist mit durchschnittlich hunderttausend Hektolitern immer noch „Peanuts“ angesichts der schäumenden Seen, die sich aus den Fabriken der Bier-Multis wie „Brau und Brunnen“, „Binding“ oder „Holsten“ in Deutschlands durstende Kehlen gießen (Pro-Kopf-Bierkonsum: 130 Liter).
Museumsbrauer Obstfelder: Bei den Großen „sind nicht die Brauer wichtig, sondern Verkäufer und Werber“. Deutschlands größte Einzelbrauerei Warsteiner (“das einzig Wahre“) pumpt jährlich fünfeinhalb Millionen Hektoliter in Flaschen und Fässer. Krombacher (“eine Perle der Natur“), die Nummer zwei, verkauft viereinhalb Millionen, und die Nummer drei, „Heute ein König“, bringt es auf 2,3 Millionen. Das Glück der Brauer: Die Deutschen halten sich an einheimisches Bier, und sie bevorzugen Pils.
Das sprichwörtliche Reinheitsgebot schützt die Erzeuger erfolgreich vor Eindringlingen aus dem Ausland, nicht aber vor der Dominanz weniger Marken – und vor der Uniformierung des Geschmacks. Michael Jackson – nein, nicht der Popstar mit der Hand am Schritt, sondern sein britischer Namensvetter, weltweit anerkannt als führender Experte zum Thema Bier –, jener Michael Jackson also klagt zu Recht: „Die deutschen Biere werden immer fader.“ Und in ihrer Fadheit werden sie immer ähnlicher. Dabei hatte noch Mark Twain die Vielfalt des deutschen Bieres einst enthusiastisch gelobt: Die deutschen Biere seien wie die Hühner, mal blond, mal braun, und manchmal sogar schwarz. Doch das ist halt lange her.
Das ZDF lud vergangenes Jahr die Chefs von 15 deutschen Brauereien zur Blindverkostung. Ergebnis: Die Biermacher zeigten sich auch nach exzessivem Probieren außerstande, ihren eigenen Saft herauszuschmecken. Sichtbar angetrunken, suchten sie vergeblich nach der Identität ihres Stoffs.
Henninger-Boß Peter Lämmerhirdt wertete den Trinkmarathon aus und fand einen trefflichen Vergleich: Es sei „wie bei den Autos“. Die Biere würden so lange getunt, bis man sie nicht mehr unterscheiden könne. Einer freilich konnte sein Produkt sehr wohl identifizieren: Franz Ehrnsperger aus Neumarkt in der Oberpfalz.
Der Inhaber des Brauhauses „Neumarkter Lammsbräu“ bewies sicheren Geschmack. Er kam, sah und siegte – nicht zum ersten Mal. 1990 war der Brauer bereits zum „Öko-Manager des Jahres“ gekürt worden, weitere Auszeichnungen vom BUND oder vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung folgten. Ehrnsperger stellt eines der wenigen Öko-Biere her. Credo: „Für mich beginnt das Reinheitsgebot auf dem Acker.“
Ins Lammsbräu kommt nur Braugerste aus biologischem Anbau, angeliefert von Bauern aus dem Neumarkter Land. Außerdem verwendet „Lammsbräu“ natürlichen „Aroma-Doldenhopfen“ statt der üblicherweise verarbeiteten gefriergetrockneten, gepreßten Hopfenpellets. Die Pellets werden gemischt mit Hopfenextrakt, der sein Aroma durch den Einsatz spezieller Lösungsmittel aus dem Hopfen zieht.
Auch in Neumarkt dominiert das Pilsner, aber in charaktervoller Variante: bräunliche Farbe, sahniger Schaum, kräftiger Geschmack mit einer angenehmen Bittere, wie die Brauer sagen. Ein bodenständiges Gewächs wie sein Erzeuger. 90 Prozent der Jahresproduktion von 650.000 Hektolitern werden in der Region ausgetrunken.
Verläßt man den Geltungsbereich deutschen Reinheitsgebots, kann man eine weitere alte und gute Brauerei bestaunen. Im Brüsseler Stadtteil Anderlecht braut Jean-Pierre van Roy mit seinen Söhnen im Sudhaus Cantillon das sogenannte „Lambic“. Die Herstellung erinnert an die Erzeugung großer Weine: Bis zu drei Jahren reift das Gebräu in kleinen Fässern aus Eichen- und Kastanienholz, der beste Getreidewein des Hauses heißt folgerichtig „Cantillon Grand Cru“. Für den grandiosen mildsäuerlichen Geschmack zeichnen neben der Faßreife die wilden Hefen verantwortlich. Während der Kühlung im offenen Kühlschiff setzen sich die Sporen, die auf dem Dachboden umherwimmeln, auf den Sud.
Überhaupt: Die Hefe scheint der am meisten unterschätzte Bierrohstoff zu sein. Das Reinheitsgebot von 1516 erwähnt den einzelligen Sproßpilz mit keinem Wort – er war noch nicht entdeckt. Der Alchimist Galan Seid beschrieb ihre Wirkung im Bier so: „Die Hefe frißt den Zucker, verdaut ihn, scheißt ihn als Alkohol aus und furzt die Kohlensäure dazu.“ In Brüssel, so scheint's, furzt sie besonders kraftvoll.
Eberhard Schäfer, 36, lebt in Berlin. Er hat Politologie studiert, jobbt im Jugendbereich sowie als freier Autor
Literatur: Michael Jackson, „Bier – Über 1.000 Marken aus aller Welt“. Hallwag Verlag, 29,80 Mark.
Besonders prachtvoll: Michael Jackson, „Bier International“. Hallwag Verlag, 69,90 Mark.
Informativ, mit reichlich Verkostungsnotizen: Karl Rudolf: „Bier“, Heyne Verlag, 44 Mark.
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