piwik no script img

Wolkenglocke überm California dream

■ Die Beach Boys wirkten am Nordseestrand verfroren aber glücklich

Optisch und akustisch war alles perfekt: „The Beach Boys“ spielten souverän und routiniert ihre Surferhits auf einer Bühne, die gerade mal zehn Meter von der Nordsee entfernt aufgebaut worden war; die Sonne schien, und es gab sogar einen wunderschön kitschigen Sonnenuntergang. Aber das typisch norddeutsche Wetter konnten sie nicht wegpusten. Eine kalte Brise wehte über die Seebäderkaje in Bremerhaven, und die Musiker froren sich auf der zugigen Bühne nach eigener launiger Ansage, „their asses off“. Um die maritime Grundstimmung noch zu verstärken, hatte am Anleger gleich neben der Bühne ein kleines Passagierschiff festgemacht, auf dessen Promenadendecks die VIPs bei Sekt, Bier und Schnittchen das Konzert goutieren konnten. Zahlende Besucher waren enttäuschend wenig gekommen, von den angepeilten 10.000 vielleicht gerade mal ein Fünftel, doch das vermieste auf und vor der Bühne niemandem die Stimmung.

Von den Ur-“Beach Boys“ waren mit Mike Love und Bruce Johnson gerade noch zwei übrig geblieben, und einen unerwartet direkten Hinweis darauf, wie sich die Band jetzt, 30 Jahre nach ihrer besten Zeit, sieht, lieferte Love, indem er einen Mitspieler mit den Worten vorstellte, er arbeite nun auch schon „20 years for the organisation“. Es war also eine gut eingespielte Unterhaltungsmaschine, die da „Surfin USA“ und „Barbara Ann“ sang, und dabei so reibungslos lief, daß es einem nie unangenehm auffiel. Sie schnurrte die kniffligen Vokalparts in makelloser Reinheit ab, und mit Mike Love war immerhin noch der Leadsänger mit von der Partie, dessen Stimme wohl am schwierigsten zu kopieren gewesen wäre. Die zum Teil fast orchestralen Arrangements wurden nun von drei Keyboardern auf der Bühne live nachgespielt. Da gab es keine Toneffekte aus der Konserve (was sich etwa bei „Good Vibrations“ ja angeboten hätte). Dem späten (eher akademischen) Ruhm der Beach Boys trugen sie dadurch Rechnung, daß sie drei Songs aus der legendären LP „Pet Sounds“ spielten. Die kaufte damals kaum jemand. Dafür wurde sie jetzt von amerikanischen und englischen Musikkritikern zur „Platte des Millenniums“ gekürt. So wurde das eher melancholische „Wouldn't it be nice?“ eindeutig zum musikalischen Höhepunkt des Abends. Die meisten Zuschauer waren natürlich für die Stimmungslieder gekommen, und die wurden dann auch beim Finale nacheinander abgebrannt. Jeder hatte vor der Bühne genug Platz zum Tanzen, dabei konnte man sich auch schön warmhalten, und so gab es dann doch im Grunde nur „Good Vibrations“. Eines der Lieder, die nicht von Brian Wilson geschrieben wurden, kommentierte übrigens die Situation so ironisch, daß man fast glauben mußte, es würde nur wegen des Wetters gesungen: „California dreaming (on such a winters day!)“ von den „Mammas und Papas“. Es erzählt von der Sehnsucht der Verfrorenen nach der Sonne der amerikanischen Westküste. Genau das passende Lied zur Brise. Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen