Ein Langweiler mit Narrenfreiheit

Die San Antonio Spurs gewinnen den NBA-Titel, aber ihren Nachwuchsstar Tim Duncan als Jordan-Nachfolger zu etablieren, erweist sich als kompliziert  ■   Von Thomas Winkler

Es war noch keine Minute her, daß Latrell Sprewell den letzten Wurf daneben gesetzt und damit die 77:78-Heimniederlage seiner New York Knicks im fünften Spiel der NBA-Finals besiegelt hatte. Da stand Tim Duncan schon auf dem Platz und filmte mit einer Handycam den Trubel, den seine Teamkollegen veranstalteten.

Die San Antonio Spurs waren NBA-Champion, aber der mit 31 Punkten Hauptverantwortliche für den Sieg hatte nichts Besseres zu tun, als andere beim Feiern aufzunehmen, schließlich „gibt es keine Garantie, daß wir das jemals noch einmal schaffen sollten“. Ansonsten trug er nur ein breites Grinsen im Gesicht, der Erfolg schien ihn seltsam unbewegt zu lassen. „Mehr Emotionen wird man von ihm nicht sehen“, meinte Sean Elliott, Small Forward der Spurs.

Anschließend wurde der auf den Jungferninseln aufgewachsene Duncan (23), erst in seinem zweiten Jahr in der NBA, auch noch zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Finalserie gewählt. Kein Wunder, schließlich hatte er in den fünf Spielen durchschnittlich 24 Punkte erzielt und 17 Rebounds geholt und nebenbei David Robinson, eines der größten Center-Talente aller Zeiten, zum Zuarbeiter degradiert. Der allerdings fühlt sich sichtlich wohl als Sidekick des Jungstars – nach zehn Jahren in der Liga, in denen er regelmäßig die großen Hoffnungen enttäuschte, die in ihn gesetzt wurden. Zufrieden grinsend nahm der schwergläubige Christ den Pokal entgegen und lieferte eine gewohnt salbungsvolle Dankesrede: „Harte Arbeit und Hartnäckigkeit zahlen sich aus.“

Schlußendlich hatte New York aber vor allem der körperlichen Überlegenheit der Spurs wenig bis gar nichts entgegenzusetzen. Weil Knicks-Center Patrick Ewing verletzt fehlte, hatten Robinson (2,16 Meter) und Duncan (2,13) unter den Körben Narrenfreiheit. Diese Dominanz garantieren die sogenannten „Twin Towers“ noch auf Jahre hinaus. Auch wenn Duncans Vertrag Ende nächster Saison ausläuft, hat er doch schon verkündet, sich in Texas wohlzufühlen und gerne bleiben zu wollen. Es drohen also weitere Meisterschaften, und die NBA wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, den neben dem Spielfeld eher farblosen und sich gerne verweigernden Duncan zum Superstar aufbauen zu müssen.

Basketballexperten begeistern sich für die für einen Mann seiner Größe sensationelle Beinarbeit, für sein Ballgefühl und seine frühe Reife. Statt krachend zu dunken, ist sein bevorzugter Wurf ein unspektakulärer Drehsprungwurf. Er selbst beschreibt sich als „boring guy“, haßt Großstädte, und auch Elliott fehlen „die Worte, ihn zu beschreiben. Er ist nicht schillernd, er spielt sich nicht auf, er hat es nicht nötig, Leute zu beeindrukken. Er geht einfach raus und spielt das Spiel mit Stil.“ Nur: Auf Highlight-Zusammenstellungen machen sich aufplusternde Macho-Gesten besser als das unbewegte Babyface von Duncan.

Andererseits: In seiner freundlichen Langweiligkeit paßt Duncan wundervoll ins beschauliche San Antonio, wo die erste NBA-Meisterschaft in der 26jährigen Franchise-Geschichte zwar ausgelassen, aber ungewohnt friedlich gefeiert wurde. In Chicago war es in den letzten Jahren regelmäßig zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Vielleicht ist es für die NBA, deren Image immer mehr vom Klischee des halbkriminellen, neureichen Ghetto-Kids geprägt wird, sogar ganz hilfreich, einen so vorbildlichen Posterboy zu haben. Manche Fans jedenfalls atmen auf: „Dieser Sieg zeigt“, sagt ein Frank Cassiano auf den Straßen San Antonios, „daß auch nette Jungs erste werden können.“