: Versohlte Ärsche
■ Marilyn Manson wollen Totengräber des Rock sein, ihr Sänger sieht sich als Antichrist – in Berlin blieb es ein laues Sommerfestival
Ideale Bedingungen an diesem frühen Abend in der Berliner Wuhlheide für die amerikanischen Monsterrocker Marilyn Manson: schönes Wetter, die Location in einem Park mit Kinderspielplatz und Kindereisenbahn, nette Kartenabreißer, die lammfromme amerikanische Mainstreamband Live, die harmlose, zu MTV-Ehren gekommene Göttinger Crossover-Rockband Guano Apes. Da sollte es für Marilyn Manson eigentlich ein leichtes sein, die friedliche Atmosphäre mit ein paar bösen Fratzen empfindlich zu stören! Schließlich entzündete sich an ihnen zuletzt mal wieder die Frage nach der Schuld oder Unschuld von Rock 'n' Roll, von Pop und seinen Zeichen: Nachdem in dem kleinen amerikanischen Städtchen Littleton die beiden Teenager Eric Harris und Dylan Klebold in ihrer Schule Amok gelaufen waren und sich und dreizehn ihrer Mitschüler und Lehrer totgeschossen hatten, wurden Marilyn Manson stellvertretend der Verführung Minderjähriger angeklagt.
Harris und Klebold waren zwar insbesondere Fans der deutschen Bands KMFDM und Rammstein, hatten aber auch Marilyn-Manson-Platten in ihrem Schrank stehen; Platten von einer Band, deren Vorturner Brian Warner sich seit Jahren wahlweise stilisiert als Satan, Antichrist-Superstar, God of Fuck, Rock-'n'-Roll-Totengräber oder Maschinenmensch. Das mag nun nicht gerade der letzte Schrei vor dem Herrn sein: Alice Cooper, Alien Sex Friend, Gwar und überhaupt zahlreiche Death-Metal-Bands haben in den vergangenen Jahrzehnten schon vorgemacht, wie man die dunklen und perversen Seiten des Lebens via Rock 'n' Roll abbildet. Doch so wenig sich Oasis-Fans darum scheren, daß die Beatles früher die besseren Songs geschrieben haben, sowenig scheren sich die weißen amerikanischen Teenager um die Ahnenreihe von Marilyn Manson: Deren Alben verkaufen sich mit ihrer Mischung aus Industrial- und Lollapalooza-Rock millionenfach, und die Feindschaft von amerikanischen Law-and-order-Politikern sorgte auch schon vor Littleton für eine nicht unwichtige Medienpräsenz.
Berlin aber ist nicht Amerika, die Parkbühne Wuhlheide ist mäßig gefüllt, und auch Pink Floyds „We don't need no education“, das vor dem Auftritt von Marilyn Manson läuft, findet nicht die richtigen Adressaten: Das Publikum besteht weniger aus erwartungsvollen Teenies als abgeklärten Mitzwanzigern und Mitdreißigern – viele Grufties, die sich in ihre Ausgehklamotten geschwungen haben, Alternative-Rocker, die früher Soundgarden und Mudhoney gehört haben, Jungs und Mädels mit Subway-To-Sally-, Type-O-Negative- oder Kiss-T-Shirts aus Schwerin, Lostau und der Lutherstadt Wittenberg, die angesichts der vielen Grufties sich „wie im Kino“ vorkommen.
Irgendwie scheinen auch Brian Warner und seine Mannen zu ahnen, daß hier an diesem Abend nicht viel zu holen ist, daß hier das Zelebrieren einer Freakshow mitsamt Transennummer und last supper ein hoffnungsloses Unterfangen ist.
Außer Nebel nix gewesen, denkt man zu Beginn, als die Band die ansonsten schmucklose Bühne betritt. Warner mit seinem weiß abgeschminkten Gesicht und den halblangen pechschwarzen Haaren hat sich zwar in Schale geworfen – schwarzes Korsett, das seine Hühnerbrust frei läßt, Netzhose und Schnallenstiefel –, doch immer wieder muß man aufpassen, daß man ihn auf der großen Bühne nicht aus den Augen verliert. Er gibt das Springteufelchen hier, den sterbenden Schwan dort, hält sich hier das Mikro vors Gemächt und prügelt später damit, auf dem Rükken liegend, aufs selbige ein.
Aber eigentlich muß man sich schon arg anstrengen, um in ihm den bösen und geschlechtslosen Maschinenmenschen der Zukunft zu sehen. Das kann ein Trent Raznor von den Nine Inch Nails, Marilyn Mansons Entdecker und Produzent, besser, da liegt ein Brian Molko von Placebo um viele Penislängen vorn. Und auch Sachen wie Boxen umschmeißen und Schlagzeug zertrümmern haben wir doch schon hinlänglich gesehen: „Rock Is Dead“? Der feiert mit Marilyn Manson eher fröhliche Wiederauferstehung. Warner will wahrscheinlich die guten alten Rock-'n'-Roll-Gesten karikieren, doch sein ganzer Auftritt mutet mehr wie die Karikatur seiner selbst an.
So richtig stören tut das vor der Bühne aber keinen, da wird gemosht und gejubelt, als Warner den Song „Rock-'n'-Roll-Nigger“ ankündigt oder das Wörtchen „drugs“ buchstabiert, „das einzige Wort, das ihr auf englisch kennen müßt“. Manche der Marilyn-Manson-Songs rocken allerdings ganz gut, insbesondere das Eurythmics-Cover „Sweet Dreams“, die lassen vergessen, daß man sie so oder so ähnlich schon besser gehört hat, zu denen kann man sich schon mal gegenseitig den Arsch versohlen.
Insgesamt aber ist das, was Marilyn Manson da fabrizieren, zu oberflächlich und eindimensional, sind die Zeichen, die in diesem Set eingebaut sind, schon so entleert (Drogen, die amerikanische Flagge mit dem Starkstromzeichen statt weißen Sternen, Pink Floyds „The Wall“), als daß sie in neuen Zusammenhängen noch subtile Botschaften vermitteln können. Bigger Than Satan? Das bleibt wohl doch nur ein schöner Traum. Gerrit Bartels
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