: In Gruppen und vor Wichtigkeiten
■ Christian Hansen hat tausend Frauen gesammelt
„Die Frau existiert nicht“, schrieb die Feministin Luce Irigaray in den 60er Jahren. Tausend Frauen auf den Privatfotos der Sammlung Hansen beweisen das Gegenteil und sind unter dem Titel „Tausend Frauen“ im Feldmann-Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um ein schönes, wohl auch lehrreiches Buch; ein Stück Alltagskultur sozusagen, das aus Faulheit, womöglich auch komplizierteren Erwägungen, auf interpretatorische An- und textliche Zusätze weitgehend verzichtet und tausend Schwarzweißfotos für sich sprechen lassen möchte.
Die Bilder sagen: Wir sind so ungefähr zwischen den 30er und 60er Jahren in Ost- und Westdeutschland entstanden, führten mal ein beschauliches Dasein in Fotoalben und wanderten dann mit anderem Nachlaß in Trödelläden, als unsere Besitzerinnen wohl starben. Dann fand uns Christian Hansen und nahm uns mit. Er kaufte die Bilder; vielleicht stahl er sie auch, vielleicht fand er sie auch im Mülleimer. Dann riß er uns aus unseren Zusammenhängen. Nun sind wir ein Buch. Das hätten wir uns nie träumen lassen.
Tausend Frauen sind normal. Um interessant zu werden, braucht die Normalität vielleicht dreißig Jahre. Dann sieht sie nicht mehr normal aus, weil sich die Normalität der Körperformen, Badeanzüge, der Arten und Weisen, in denen man einander fotografierte und sich fotografieren ließ, verändert hat, wie sie sich verändern wird. Die Bilder wirken so leicht melancholisch, weil die Abgebildeten mittlerweile tot sind oder zumindest doch hinfällig, jedenfalls nicht sonderlich aktuell.
Wenn man das Foto einer jungen Frau anguckt, die keck nur in Schlüpfer und BH (das Höschen ist so groß, daß es den Bauchnabel verdeckt) vor den geometrischen Mustern eines Fünfziger-Jahre-Vorhangs posiert, schaut gleichzeitig auch eine zarte ältere Frau, die vielleicht schon tot ist, zurück – und neben einem steht das hilflose Gespenst ihres Mannes, der damals, in Unterhose womöglich, durch den Sucher dieses Bild sah.
Verschiedene Gruppen, Untergruppen, Spezialeinheiten drängen sich beim Durchblättern so auf: Frauen, die sich an Geländer und Zäune meist irgendwelcher Urlaubsgegenden lehnen, wobei eine auch stolz auf einem Geländer mit Blick auf eine Hochhaussiedlung balanciert (mit diesem Thema tingelte Kollege Helmut Höge unterstützt von zehntausend Dias mal durch Berliner Altersheime), laszive Damen in Unterwäsche resp. Bikini oder Zauberkreuz-BH, die einen so seltsam neckisch wie Günter Grass angukken, Frauengesichterporträts, selbstbewußte Frauen im Berufsleben (vermutlich DDR), Frauen in ihrer natürlichen Umgebung, Frauen neben oder vor diversen Wichtigkeiten (Autos, Kirchen, Berge, Schiffe, Fußballtore); Frauen in Gruppen, gern mit den Füßen im Wasser planschend; verwischte, verwackelte Frauen und Frauen, die erst mal in keine Kategorie passen.
Eine posiert als spärlich angezogene Amazone mit Pfeil und Bogen, eine andere steht auf einem Medizinball, eine dritte vor dem Grab ihres Mannes, eine vierte reisefertig oder zumindest doch spaziergangsentschlossen an einer Kreuzung unter Schildern, auf denen steht: Eidelstedt, Stadion, Flensburg, Kiel, Schnelsen.
Wohin geht die Frau? Detlef Kuhlbrodt
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