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Dialog an der Feuerstelle

Parallel zum großangelegten „Theater der Welt“-Treffen wurde im Berliner Haus der Kulturen der Welt über „Die Bühne der anderen“ diskutiert  ■   Von Eva Behrendt

„In Asien ist das Exotische Teil des Alltags. Wenn ich daheim auf den Gewürzmarkt gehe, dann ist das für mich pure Exotik“, sagt der Theaterregisseur Ong Keng Sen aus Singapur. Mochte man auch bislang denken, dem Asiaten sei der Gewürzmarkt so selbstverständlich wie dem Deutschen sein Edeka – daß die eigene Kultur mitunter exotischer erscheint als das ausgewiesen Fremde, daß das eine vom anderen nicht mehr klar unterschieden werden kann, gehört zur urbanen Erfahrung am Ende des zweiten Jahrtausends.

Dennoch wird das internationale Festival „Theater der Welt“ von einer unterschwelligen Exotismusdebatte begleitet, in der es nicht allein um Geschmäcker, sondern auch um die politische Dimension von Wahrnehmung geht. Wer im Foyer sektglaszwirbelnd „mehr Authentizität“ einklagt, outet sich als bornierter Westeuropäer, der anderen Kulturen jene Hybridität nicht zugestehen will, die auf heimischen Bühnen seit der historischen Avantgarde üblich ist. Auch die Theaterkritik wandert an diesem Abgrund, selbst wenn sie's so hübsch ironisch versucht wie Moritz Rinke, der nach dem asiatischen „Lear“ chinesischen Gesang mit dem Sound seiner Waschmaschine verglich und konstatierte, daß es ihn befremde, nicht stärker befremdet zu sein. Worauf ausgerechnet der postmodern beschlagene Sen erstaunt war, daß man in Deutschland „so etwas in der Zeitung schreiben kann“.

Der interkulturelle Auftrag, der „Theater der Welt“ seit 1979 trägt und inspiriert, ist auch 1999 zuallererst Vision. Obendrein hat sich die künstlerische Leitung dieses Jahr in der Auswahl auf Text- und Sprechtheater konzentriert: Das ist eine Herausforderung, da bislang vor allem „körpersprachlichem“ Theater eine interkulturelle Tauglichkeit bescheinigt wurde. Den Gegenbeweis liefert das Ymako Teatri Abidjan von der Elfenbeinküste mit der „Legende von Kaidara“. Unter freiem Himmel um eine imaginäre Feuerstelle gruppiert, erzählen, tanzen und kommentieren fünf Schauspieler und zwei Musiker das mündlich überlieferte Gleichnis mit der Botschaft: Gold allein macht nicht glücklich. „Zerstreuen, amüsieren, belehren“ will die Legende, und Ymako folgt diesen Imperativen mit Verve. Zwar wurden zuvor die üblichen synoptischen Handzettel gereicht, doch die konnte man ungelesen wegpacken: Umstandslos hat Ymako die Performance für die deutschen Zuschauer abgeändert und den Schauspieler Samuel Zach als Übersetzer ins Spiel integriert.

Doch wenn das Ymako Teatri sich in die orale Tradition Afrikas stellt – was bedeutet es dann, wenn Französisch gesprochen wird, die Sprache der ehemaligen Kolonialherren? Um solche Fragen zu verhandeln, hatte das Haus der Kulturen der Welt Theaterwissenschaftler und Vertreter der außereuropäischen Theater-Moderne zum Gespräch über „Die Bühnen der Anderen“ eingeladen. Das Festival sollte hier um die komplementäre Frage ergänzt werden, wie eurozentrisch sich Europäer den Nichteuropäern darstellen. Um die Antwort stahlen sich die Gäste höflich herum. Allerdings formulierten sie ein „postkoloniales“, emanzipiertes Selbstbewußtsein zwischen Abgrenzung und Grenzüberschreitung, das souverän mit der eigenen Kulturgeschichte spielt und – ganz pragmatisch – Impulse von außen aufnimmt, wenn sie der künstlerischen Intention nützen.

Der Kosmopolit Ong Keng Sen, dessen „Lear“-Adaption Theatertraditionen von No bis Pekingoper nebeneinanderstellt und mit High-Tech-Asien kontrastiert, beabsichtigt eine „bewußte, d. h. reflektierte Konstruktion von Identität“, die sich nicht auf eine einzelne Nation, sondern einen heterogenen Kulturraum bezieht. Das Ymako Teatri dagegen hat sich selbst als gesellschaftspolitische Institution erfunden, die konkrete regionale Mißstände thematisiert und ihr Publikum ermutigt, selbst „eine Lösung“ zu finden. Neben der Form des Geschichtenerzählens haben die Ymako-Gründer Claude Gnakouri und Luis Marquez dazu eine Strategie entwickelt, die entfernt an Augusto Boals „unsichtbares Theater“ erinnert. Auch das labyrinthische Installationstheater „Oraculos“ des kolumbianischen „Teatro de los Sentidos“, in dessen Dunkelheit sich der Zuschauer einsam verlieren darf, stellt Fragen, ohne Antworten vorzuschreiben. Regisseur Enrique Vargas versöhnte schlicht mit einer anthropologischen Rückbindung: „Wenn man in die Welt der Träume eintritt, dann gibt es keine Unterschiede mehr zwischen dem Taxifahrer in New York, dem Berliner Manager und dem mongolischen Bauern.“

Symptomatisch ist allerdings, daß „Die Bühnen der Anderen“ in erster Linie vom Fachpublikum besucht wurden. Leider dezentriert die Event-Hauptstadt den Dialog zwischen Theaterleuten und Zuschauern dergestalt, daß selbst die täglichen „Public Talks“ im Festivalzentrum „Kalkscheune“ bislang chronisch unterbesucht sind.

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