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Das Strampeln der Zapper

■ Über das Funktionieren in kompletter Dysfunktionalität: „House“, ein Stück des New Yorker Regisseurs Richard Maxwell

Wer nicht gerade einen Toast ißt, läßt die Arme hängen. Die Körper der vier schlechtgekleideten Menschen vor der weißen Wand scheinen überhaupt keine Spannung zu kennen – da ist es verwunderlich, daß die Köpfe oben bleiben. Der Frau gelingt es, wenn sie zu ihrem Mann aufschaut. Das ist ihr Leben. An seinen Lippen klebt sie, wenn ihre verunsicherten Halbsätze ins Leere laufen. Für ihn hingegen ist das Kopf-oben-Halten Prinzip. Aus dem Osten ist er gekommen, wie sein Akzent verrät, aber heute ist er Besitzer eines Hauses mit Kleinfamilie in einer amerikanischen Kleinstadt. Das ist das Leben, und deshalb ist es gut, wie er seinen Sohn unterrichtet: „Mir gefällt, wo wir wohnen. Es ist nicht besser als viele andere Orte. Aber mir gefällt's. Aber wir wohnen in einer Straße, wo ... Verkehr ist. Siehst du? Ich mag das Geräusch der Autos, die vor dem Haus vorbeifahren. Hörst du? Schau schau schau ... Autos. Autos fahren vorbei. Hör hin. Sie fahren vorbei. Sie funktionieren.“

Richard Maxwells „House“ ist ein Stück über das Funktionieren. Genauer gesagt, über das Funktionieren in kompletter Dysfunktionalität. Drei miteinander verwandte Menschen reden wortkarg so aneinander vorbei, daß der stets auf der Bühne anwesende Unbekannte gar nicht als Fremdkörper auffällt. Auf einer Linie stehend blicken sie mit leerem Gesicht ins Publikum. Wenn sie sich bewegen, so stets auf dieser Horizontalen. Sie funktionieren wie von mentalen Joysticks auf einer Videooberfläche manipuliert. Zwar lassen ihre Satzfragmente über Schule, Arbeit oder Essen ahnen, daß sie gerne einer jener glücklichen Keimzellenfamilien aus 60er-Jahre-Sendungen entsprechen würden. Aber wer immer sie programmiert hat, beherrscht die Synchronisation nicht.

Richard Foreman nennt Maxwell einen der drei talentiertesten Dramatiker seiner Generation. Imvergangenen März stellte er dem 31jährigen für drei Wochen sein Ontological-Hysteric Theater in Manhattan zur Verfügung, worauf dieser kurz entschlossen „House“ schrieb. Begonnen hatte die Theaterkarriere des ausgebildeten Schauspielers 1990 bei der renommierten Chicagoer Steppenwolf Company. Nachdem er „Brace up!“ der Wooster Group gesehen hatte, verließ er sie jedoch ernüchtert, gründete eine eigene Company, zog nach New York und begann in rascher Folge Stücke zu schreiben. Sein größter Einfluß sei das Fernsehen, sagt Maxwell, aber das führt ihn weder zu willkürlichem Video auf der Bühne noch zu hysterischen Sit-Com-Imitationen. Sein Theater ist äußerst reduziert, humorvoll und tragisch, weil es Figuren vorstellt, die in ihrer Zapping-Sozialisation statisch strampelnd gefangen bleiben. So dümmlich sie reden, so emotionslos sie agieren – Maxwell führt die Charaktere trotz all dem nicht vor, weil er ihnen Sehnsüchte zugesteht und selbst im Stammeln poetische Momente gelingen läßt.

Geschichtsbewußtsein ist wichtig, sagt der Vater, „und zwar nicht irgendeiner Geschichte, sondern einer guten“. In diesem Sinne ist auch der Mord an ihm und seinem Sohn unpathetisch und positiv zu deuten: Endlich ist es ein wenig stiller auf der Welt. Da kann man die Autos wieder besser hören.

Christiane Kühl

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