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Die ganze Wahrheit über das Rollen  ■  Von Susanne Fischer

Eines steht mal fest: Die ganze Wahrheit über die Männer wird nicht in Film und Fernsehen geboten. Jedenfalls habe ich noch keinen Film erlebt, in dem ein Mann sich täglich eine Dreiviertelstunde lang auf dem Klo einschließt. Im Kino haben die Kerle komischerweise immer was anderes zu tun. Ich weiß auch gar nicht, wie sie im richtigen Leben ihr Pensum schaffen wollen. Kann man Präsident der Vereinigten Staaten werden, wenn man derart ausgedehnt zu Stuhle schreitet? Kam Napoleon mit vier Stunden Schlaf aus, um den Rest der Nacht gemütlich auf dem Scheißhaus Zeitung zu lesen? Keine Ahnung.

Die Wahrheit über Männer und Frauen findet sich natürlich auch nicht auf der Leinwand. Mal abgesehen von den gut ausgeleuchteten Körperteilen, die ja die Beteiligten so nie zu sehen kriegen, es sei denn, sie haben einen Spiegelschrank, und dann ist ja eh schon alles zu spät – wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Nicht nur, daß die Filmfrauen beim ersten zarten Gezwicke in ihre Weichteile wie auf Knopfdruck die Augendeckel zuklappen, den Mund halb öffnen und die Nasenlöcher ekstatisch blähen – nein, dann kommt auch noch das Rollen. Immer wenn es im Kino leidenschaftlich hergehen soll, wälzelt man sich virtuos übers Bett. Mitten dabei.

Und jede von uns denkt: Schade, daß ich so ein kleines Leben habe, in dem niemand mit mir über das Bett rollt, während wir beide vor Lust schreien. Da ist mir wohl die große Leidenschaft noch nie begegnet. Vielleicht liegt es ja auch daran, daß ich bisher Kamasutra für die Nachbarinsel von Sumatra hielt. Und keine von uns traut sich aber, das zuzugeben, weshalb wir alle bis heute glauben, daß Leidenschaft bedeutet, gemeinsam über das Bett zu rollen, ohne dabei herauszufallen.

Dabei ist es in Wahrheit ganz anders: Diese Szenen gehören zu den tricktechnisch aufwendigsten überhaupt. Jedes der großen Hollywoodstudios hat eine zweitausend Quadratmeter große Halle, in deren Mitte ein ausgeklügeltes Bett steht. Die einzelnen Produktionen müssen wochenlang auf ihren Bettdreh warten, und wehe, die Schauspieler oder ihre Doubles haben dann einen Pickel auf dem Dings! Das kostet den Produzenten Millionen.

In dem Bett werden also Augenlider heruntergeklappt, daß es nur so kracht, fast wie im echten Leben, aber dann geht der Zirkus erst los. An unsichtbaren Fäden hängt unser Schauspielerpaar, während das schöne Bett mit der ganzen Kulisse daran um die Darsteller herumgedreht wird! Deshalb wirken diese Szenen im Kino oft so verwackelt. Die Vibrationen der komplizierten Hydraulik beeinträchtigen leider die Aufnahmequalität, obwohl ganze Heerscharen von Technikern um das Bett herumstehen, um durch wiegende Bewegungen das Gezappel auszugleichen.

Von den Schauspielern wird natürlich äußerste Körperbeherrschung verlangt, damit nicht plötzlich ein Arm quer und unleidenschaftlich durchs Bild hängt. Ach, wie den Frauen die Lippen zittern! Vor Anstrengung nämlich. Ja, Filmen ist ehrliche Arbeit. Nach dem Dreh verschwindet der männliche Hauptdarsteller wegen Erschöpfung für die nächsten zehn Tage auf der Toilette. Und die Frau? Die Frau übt vorm Spiegel das korrekte Nasenflügelaufblähen.

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