Marilyn Mansons Hoffotografin

■ Fotografien der MTV-Ära: „Redemption“ von Floria Sigismondi zeigt, wieviel noch aus der Kunst- und Filmgeschichte zu klauen ist

Man hat so seine Lieblingsfotografen aus der Industrie. Und kann daher Namen nennen, von Leuten, die mit genau dem Lifestyle-Magazin, der Marke oder Werbestrekke ins Bewußtsein drangen, für deren aufmerksamkeitsträchtige Visualisierung sie denn auch gedingt wurden. Weil sie, wie es scheint, einen avancierten ästhetischen Mehrwert in den gemeinen Kommerz einbringen, der die zweite Wahrnehmung wert ist. Als eine Kandidatin dieser Klasse möchte sich jetzt die Kanadierin Floria Sigismondi empfehlen. Und es ist ein Berliner Verlag, der ihr mit „Redemption“ die opulente Bildbandbühne dafür bietet.

Freilich ist Sigismondi, die ihren Namen Floria just jener Dame in Puccinis Tosca verdankt, die den Chef der Vatikanpolizei mit dem Dolch niedermetzelt, keineswegs eine gefährlich bewaffnete Erneuerin der Farbfotografie. Auch wenn es in ihren Bildern malträtierte Körper zuhauf gibt: Es steht kein ikonoklastischer Furor dahinter. Es geht ihr um ein rein inszenatorisches, nicht um ein fotografisches Zerbrechen der Körper und der Bilder. Also sind ihre Aufnahmeobjekte immer schön ins Bildzentrum gerückt, und es ist weiter kein Geheimnis, um was es hier geht.

In fotografisch-formaler Hinsicht kann es nicht neu genannt werden, was die 1963 in Pescara als Kind eines Sängerpaares geborene Fotografin zeigt. Neu ist nur, daß ihr ästhetischer Turf nicht der Printbereich ist. „Floria Sigismondi“, titelte die amerikanische Vogue, „ist der David Lynch des Musikvideos“ und seine „Gothic Goddess“, wie der American Cinematographer befand. Eklektizismus ist das Stichwort. Bestürzt, belustigt und auch ein bißchen fasziniert, will man es gar nicht glauben, wieviel es aus den Vorlagen des Surrealismus, der Theaterbühne, des expressionistischen Stummfilms und Francis Bacons geschundenen Körpern noch zu klauen gibt.

Hätte sie ihn nicht gemacht, würde man Sigismondi Marilyn Mansons Hoffotografin nennen. Haufenweise finden sich die Stills aus den gemeinsamen Videos im Buch. Er konnte so böse sein wie er wollte, erst als Sigismondi seine Zähne verklammerte, seine Beine orthopädisch schiente und seinen Kopf faschistisch rasierte, war der Mann gemacht.

Und doch soll es andere Götter neben ihm geben: David Bowie, TripHop-Artist Tricky und Barry Adamson sind in „Redemption“ zu finden, dazu hübsch verunstaltete Models, die die für das Kosmetik-Kultlabel MA C posieren und einiger wissenschaftlicher Mummenschanz, kurz anatomische Präparate aus dem Müttermuseum des College of Physicians of Philadelphia. Sollen die syphilitischen Zungen und angeschlagenen Herzen Sigismondis Wege zur Kunst weisen? Wir hoffen es nicht.

Brigitte Werneburg ‚/B‘ „Floria Sigismondi: Redemption“. Die Gestalten Verlag, Berlin, 160 Seiten, 89 DM