: Der Vertrag mit der Fliege
■ Das Vermächtnis des Fernsehpfarrers und seine Folgen
Gerade in dem Moment, wo überall draußen im Land Festzelte errichtet werden, wo Sektkorken knallen, weil die ARD am frühen Nachmittag vielleicht doch wieder „Herr Rossi sucht das Glück“ zeigen muß, kurz, weil Jürgen Fliege der Bannstrahl des Bayerischen Rundfunks traf – just in diesem Moment lüftet der Seligsprecher noch einmal seine Kutte. Was der Talkmaster verriet, wird Sprengstoff unter dem virtuellen Dach der ARD sein, noch bevor am 12. Juli die Programmdirektoren den Richter sprechen.
BR-Fernsehdirektor Gerhard Fuchs bedachte bei seinem Votum contra Fliege wohl nicht den exakten Wortlaut des Vertrags, der einst an einem bierseligen Abend im Hofbräuhaus besiegelt worden war. Auf Seite 78 finden sich unter den Abrechnungsmodalitäten für Beruhigungsmittel („Biblet- ten +“), die der Moderator vor jeder Sendung gegen Hysterie im Publikum einsetzen läßt, auch einige Ausführungen zu den „Bedingungen einer Beendigung meines Vertrags gegen meinen Willen“. „Fuchs, der alte Gangster“, so Fliege gegenüber der taz mit zarter Stimme, „hat nie bis Seite 78 gelesen. Bei der Vertragsunterzeichnung im Hofbräuhaus lachte er sich die ganze Zeit über meine Witze kaputt. Und jetzt das.“
Genau, jetzt das: Die „Bedingungen einer Beendigung ...“ könnten leicht die gesamte Republik zur Hölle machen. Nicht weniger als 80 Bedingungen hat der Bayerische Rundfunk zu erfüllen, will er sich vertragsgemäß des Überlandpfarrers entledigen. In seinen juristischen Finessen erweist sich Fliege als legitimer Nachfolger des Apokalyptikers Johannes.
Zu den folgereichsten Klauseln zählen:
§ 1. Der BR finanziert mir weltweite Missionsarbeit. Ich werde überall erzählen, ich käme aus Deutschland und von dort kämen sehr bald noch mehr Leute wie ich.
§ 16. Meine Aufnahme in die Zentralsynode der Evangelischen Kirche ist zu befördern. „Flieges Predigtdienst“ ersetzt bisherige Bulletins und wird schrittweise ungeachtet obszöner und rassistischer Passagen zum Grundgesetz. Bundesrat bin in Zukunft ich.
§ 34. Der Chor „Blau-Weiß Marienstift“ gestaltet eine monatliche Sendung (wahlweise ARD oder Bayern 3 auf gutem Sendeplatz), in der mir gehuldigt wird. Kein anderer Sender darf zur gleichen Zeit ausstrahlen. Die Fernsehapparate aller Haushalte müssen zu dieser Zeit eingeschaltet sein, sonst geschieht ein Unglück.
§ 65. Die Fliege-Stiftung wird aufgelöst. Barmherzigkeit hat Grenzen.
Mit den Stichproben aus dem Testament des Dr. Fliege konfrontiert, äußerten sich Branchenkenner und Verantwortliche gemischt. Giovanni di Lorenzo signalisierte große Enttäuschung über die Absetzung; er habe jedoch „genug Hobbys“, um sich auch weiterhin über Wasser zu halten.
WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat ganz andere Sorgen. Auch er ist mit Jürgen Domian (Eins EVIL) einen Knebelvertrag eingegangen, der dem schwarzen Priester aus der „Handballerstadt“ Gummersbach eine Abschiedsparty mit all seinen Anrufern garantiert. „Was das wird, können Sie sich vorstellen“, raunt Pleitgen, „Windelsex mit heroinabhängigen Suizidkandidaten, zudem in der Domstadt, ohne Schnitte, und immer nölige Stimmen im Hintergrund. Und ein drittes Buch.“
Da ist die Welt der Privaten fast idyllisch: Bärbel Schäfer wünscht sich zum Abschied einen Rappen, Andreas Türck will sich gar mit einem Skateboard zufriedengeben. Derlei Optimismus ist jedoch im Angesicht von § 80 kaum angebracht, in dem die Fliege einmal mehr die Offenbarung des Johannes (NT, ca. S. 285) fleddert: „Sie werden beim Anblick des Tieres staunen; denn es war einmal und ist jetzt nicht, wird aber wieder da sein.“ Daniel Hermsdorf
Die Bedingungen einer „Beendigung des Vertrags gegen meinen Willen“ machen die gesamte Republik zur Hölle
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