Ein Stern, der immer schneller sinkt

Erst stürzte die Auflage mehr und mehr ab, nun wird schon wieder ein „Stern“-Chef gefeuert. Doch der panische Verlag hat schon längst keine Idee mehr für das Blatt    ■ Von Lutz Meier

Wenn an der Projektionsthese der Psychologen irgend etwas dran ist, dann sollte man die Geschichte über den Fall des Michael Maier vielleicht so beginnen: Michael Maier liebt die Macht. Er will herrschen, nicht regieren. Das ist ihm im Stern nicht gelungen. Er ist an der Redaktion gescheitert, die ihm viele Prügel zwischen die Beine geworfen und die er wohl nie richtig verstanden hat. Er ist an seinem Verlag Gruner + Jahr gescheitert, der ihn nicht verstehen und dessen Ziele er eigentlich nicht vertreten wollte. Und er ist letzlich an seinem Vorstandschef gescheitert: Gerd Schulte-Hillen hatte erkannt, daß er der Redaktion und dem Haus ein Bauernopfer werde bringen müssen.

Michael Maier hat sein gestriges Editorial im Stern Bodo Hombach gewidmet, dem Mann mit dem Ruf einer Dampfwumme, der am administrativen Handwerk gescheitert ist. Aber wenn man Personen und Institutionen austauscht, könnte es auch ein Absatz über das Scheitern von Michael Maier selbst sein. Denn das Editorial war nach nur einem halben Jahr in der Chefredaktion Maiers letztes. Gestern mittag gab der Verlag hektisch bekannt, Maier sei ab vorgestern abend „nicht mehr Chefredakteur des Stern“.

Ein Personalstreit hielt am Ende als Begründung her

„Wer nicht mehr gebraucht wird, kann gehen“, auch in solchen Fällen walte „Marktwirtschaft“ über „Moral“, klagt in dem Editorial Michael Maier, der seit Wochenanfang in Makedonien weilte, während es sich in Hamburg über ihm zusammenbraute.

Die knappe Begründung für die abrupte Entsorgung des wichtigsten Chefredakteurs bei G + J: „Unterschiedliche Auffassungen über die künftige Personalpolitik.“ Maier habe versucht, seinen geschäftsführenden Redakteur Thomas Osterkorn loszuwerden, berichtete Schulte-Hillen, der gemeinsam mit Zeitschriftenvorstand Rolf Wickmann anstelle Maiers am Morgen vor die Redaktion trat. Ein Gespräch Maiers mit Osterkorn sei Vertragsbruch, denn da habe der Verlag ein Mitspracherecht. Doch das Personalgerangel sollte am Ende allenfalls als ein guter juristischer Kniff herhalten, Maier ohne allzuviel Abfindung aus seinem Dreijahresvertrag mit 1,5 Millionen Mark Jahresgehalt zu komplimentieren.

Der eigentliche Grund ist die Krise des Stern, die intern längst nicht mehr als Krise, nur noch als Katastrophe beschrieben wird.

Für kommenden Dienstag erwartet man im Verlag und in der Redaktion mit Bangen neue Auflagenzahlen. Trotz massiven Einsatzes von Verlagstricks gilt als sicher, daß Europas immer noch umsatzstärkste Zeitschrift dabei mit einzelnen Heften erstmals unter die Millionengrenze gefallen ist. Anfang der siebziger Jahre verkaufte das Blatt fast doppelt soviel, aber noch in der ersten Hälfte der Neunziger lag der Stern relativ stabil bei 1,3 Millionen. Der Fall unter die Millionen ist etwas, das man bei G + J als nicht auszudenkenden Unfall bezeichnet hatte, als eine Unmöglichkeit. Unter der Millionen sei der Stern praktisch tot. Nun sinkt zwar die Stern-Auflage seit 25 Jahren, und von einer Krise des Blattes ist die Rede, seit Gründer Henri Nannen nicht mehr dort war und seit nach den Hitler-Tagebüchern die Chefredakteure immer schneller gewechselt hatten. Seit zudem die einstige „Wundertüte“ (Nannen) Stern immer beliebiger geworden war.

Doch so tief wie in dem halben Jahr unter Maier war der Stern noch nie gesunken. Das gilt nicht nur für die Auflage: Maiers Titelblätter wurden nach vielversprechenden Anfängen (Schröder als Kohl) nur noch als mißglückt bewertet. Wie das große „Stop“-Schild, das der Chef vor einigen Wochen für eine Allergiegeschichte auf den Titel drucken ließ, wirkten sie als zusätzliche Kaufabschreckung: „Mal war ein zerfleddertes Huhn drauf, mal eine Leiche, dann ein treudoofer Schäferhund“, sagt eine Insiderin bei G + J, „das ist gegen alle Regeln des Magazinjournalismus“. Maier, sagen auch Anhänger, habe kein Händchen für bunte Bilder und Themen. Er wollte den Stern politisieren statt emotionalisieren, und er ist wohl einer, der lieber Chefredakteur beim Spiegel würde, als es beim Stern zu sein.

„Löse mir das Problem Maier bis zum November“

Altgediente Stern-Redakteure versammelten sich (einige sagen: um Thomas Osterkorn) zum Aufstand gegen Maier, der Redaktionsbeirat schrieb einen Brief, und in der gutgefütterten Süddeutschen Zeitung standen immer mehr Artikel, wie isoliert Maier sei. Derlei Erhebungen gehören freilich zur Arbeitsplatzbeschreibung eines Stern-Chefs.

Als zwei Stern-Redakteure vor zwei Wochen im Kosovo ums Leben kamen, versuchte Maier noch einmal die Stimmung umzudrehen und die trauernde Solidarität zu nutzen. Auch das mißlang: Viele Redakteure empfanden die Traueranzeige auf dem Titelbild als übertrieben. Doch entscheidend war am Ende, daß man an der Verlagsspitze ebenso schnell Maier als vertrauensunwürdig ansah, wie man ihn noch im Vorjahr als genialsten Journalisten der Republik gepriesen hatte: „Das Signal war, das Schulte-Hillen nicht mehr mit Maier geredet hat“, heißt es. Der Verlag ließ seinen Chefredakteur so panisch fallen, wie er ihn Ende letzten Jahres vom G + J-Paradeblatt Berliner Zeitung geholt und Maiers Vorgänger Werner Funk abserviert hatte. Der Verlagschef, der hier entschied steht selbst vor seinem Abgang, allerdings mit allen G + J-Ehren. Im November soll Zeitungsvorstand Bernd Kundrun Maier nachfolgen, und um durch die dräuende Stern-Katastrophe nicht beschädigt zu werden, soll Kundrun vom Amtsinhaber verlangt haben, das Problem Maier bis dahin zu lösen.

Einstweilen führt nun Thomas Osterkorn, assistiert von den Ressortleitern Erwin Jurtschitsch und Dieter Hünerkoch, die Redaktion. Für eine mögliche Nachfolge hat man dem Vernehmen nach einmal mehr an den Spitzen von Spiegel und Woche nachgefragt, auch mit Bild am Sonntag-Chefredakteur Michael Spreng soll Schulte-Hillen einmal mehr gesprochen haben. Doch: „Keiner will mehr zum Stern“, sagt ein möglicher Kandidat, „da kann man nur scheitern.“

Der Mann dürfte recht haben. Es sind die falschen und inhaltsleeren Erwartungen eines ideenlos dahinverdienenden Großverlages, die den Stern so alternativlos blutleer gemacht haben und die dem Potential des Blatts jede Chance verbauen. Bei G + J fürchtet man nur die magische Millionengrenze. Darüber, was der Stern inhaltlich sein soll, gibt es keine Konzepte. Indem Gruner + Jahr Maier schaßte, hat der Verlag die Katastrophe Stern nicht gemindert. Das Blatt siecht jetzt nur noch offener und öffentlicher dahin.