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Ich habe nichts gegen Katholiken, aber ...

■ Ohne Marschkapellen und Lieder, dafür von vergangenen Bombenanschlägen gezeichnet marschieren protestantische Opfer der IRA und Gegner des Friedensprozesses durch Nordirland

„Wir sind die wahren Opfer in Nordirland“, sagt Joseph Kannoway, „aber uns hört niemand zu, während die Terroristen uns jetzt regieren sollen.“ Seit acht Tagen läuft der 19jährige beim „langen Marsch für protestantische Bürgerrechte“ von Derry, Nordirlands zweitgrößter Stadt, nach Portadown, das man übermorgen erreichen wird. Fast 200 Kilometer sind es, nur am Sonntag machte man eine Pause, denn es ist der Tag des Herrn.

„Wir sind 30 Jahre unterdrückt worden“, sagt Kannoway, „unsere Glaubensbrüder sind schikaniert, bedroht und getötet worden. Wir sind in unserem eigenen Land Bürger zweiter Klasse.“ Kannoway ist Student, er spricht in gewählten Worten und glaubt, was er sagt. Für den Marsch hat er sich fein gemacht, er hat sich die Haare frischgeschnitten und trägt ein neues blaues Hemd. Sein Freund, der 16jährige Andrew McIntyre, hat sich die orange Anstecknadel des „langen Marsches“ ans schwarze Hemd geheftet. „Es geht uns hier nicht um Politik“, sagt er, „es geht um Protestantismus. Ich habe nichts gegen Katholiken, ich will nur, daß sie uns in Ruhe lassen.“

In Antrim, wo vorgestern die sechste Etappe begann, haben die Marschteilnehmer ein Heimspiel. Die Stadt ist überwiegend protestantisch, an den Straßenlampen hängen britische Union Jacks, über die Straße spannt sich ein Torbogen, an dem ein Bild von Königin Elisabeth angebracht ist, darunter steht: „God save our Queen.“ Bei der Ankunft des Marsches am Vorabend kamen 3.000 Menschen zur Begrüßung, viele hatten Getränke und Sandwiches für die Teilnehmer mitgebracht.

Vorige Woche war das anders. In Derry gab es eine Gegendemonstration, und in Greysteel, wo Loyalisten im November 1993 acht Menschen in einer Kneipe ermordet haben, kehrten die Demonstranten am Straßenrand dem Marsch den Rücken zu. Doch seit sie den Fluß Bann Richtung Osten überquert haben, sind sie zu Hause im protestantischen Nordirland.

In Antrim laufen sie erst nachmittags um vier los, sie haben den Vormittag freigenommen, um die Blasen an den Füßen auszukurieren. Es ist ein Kern von 60 Leuten, darunter viele Kinder, die die ganze Strecke von Derry, das sie Londonderry nennen, nach Portadown laufen.

Vorneweg, jedenfalls am Anfang jeder Etappe, läuft Jim Dixon, ein alter Mann im eleganten dunklen Anzug mit Weste. Er hat den Bombenanschlag der IRA auf eine Gedenkfeier für die britischen Weltkriegstoten 1987 in Enniskillen nur knapp überlebt, elf Menschen starben. Seitdem hat er nicht mehr gearbeitet, er benötigt einen Krückstock, er sieht schlecht, und seine Wut auf die Täter ist mit jedem Tag größer geworden. „Er ist unser Maskottchen“, sagt Johnathan Bell, der den Marsch organisiert hat.

Bell ist Sozialarbeiter und Bezirksverordneter der Ulster Unionist Party, mit seinem Parteichef David Trimble ist er auf Kollisionskurs, weil er zu nachgiebig gegenüber der IRA sei. Bell ist wütend, weil die für Paraden zuständige Kommission den langen Marsch in Lurgan, wo er heute eintrifft, umgeleitet hat. Die Teilnehmer wollten an dem Büro vorbeilaufen, in dem die Anwältin Rosemary Nelson gearbeitet hat, bis sie im März von Loyalisten durch eine Autobombe getötet worden ist. Und auch die Abschlußetappe, der Marsch über die katholische Garvaghy Road in Portadown am Sonntag, ist nicht genehmigt worden. „Wir haben keine Marschkapellen dabei, wir singen keine Lieder“, sagt Bell, „was wollen sie denn noch? Die Paradenkommission sollte aufgelöst werden.“

Davy Tweed gehört der Democratic Unionist Party von Pfarrer Ian Paisley an, auch er ist Bezirksverordneter und fungiert als Ordner beim „langen Marsch“. Früher war er Rugby-Nationalspieler, und zwar für Irland, denn im Rugby gibt es eine gemeinsame Mannschaft beider Teile Irlands. „Wir marschieren für eine gute Sache“, sagt er, „und wenn einige von uns etwas müde werden, dann brauchen wir uns nur die Opfer anzusehen, die mitmarschieren, und dann halten wir durch.“

Wer nicht durchhält, kann sich in das riesige Wohnmobil zurückziehen, das hinter dem Marsch herfährt. Cilla Whyte hält durch. Sie wurde schwer verletzt, als die Irische Nationale Befreiungsarmee INLA vor 17 Jahren eine Kneipe in Ballykelly in die Luft sprengte, 17 Menschen starben, darunter elf britische Soldaten. Cilla Whyte kann nur mit Hilfe einer Krücke laufen. „Die Terroristen durften dagegen im Gefängnis studieren“, sagt sie, „sie hatten eine Sporthalle, und als sie aus dem Gefängnis entlassen wurden, bekamen sie finanzielle Zuschüsse.“ Michelle Williamson, die inzwischen die Führung des Marsches übernommen hat, gibt ihr recht. Ihre Eltern und acht weitere Menschen kamen ums Leben, als die IRA 1993 einen Fischladen auf der Shankill Road in Belfast bombardierte.

Gegen Abend trifft der Marsch in Glenavy ein, begleitet von acht Motorrädern der Polizei. In der Halle des lokalen Oranier-Ordens stehen Getränke, eine Mahlzeit und Feldbetten bereit. Rund hundert Einwohner empfangen den Marsch mit Musik, das Wetter war diesmal mit den Marschteilnehmern gnädig. „Es ist großartig“, sagt Joseph Kennoway. „Bei diesem Marsch kommen Unionisten aller Schattierungen zusammen und gedenken der wahren Opfer.“ Der protestantischen Opfer, meint er. Ralf Sotscheck, Antrim

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