: Im Herzen der Tirade schlummert ein reaktionäres Idyll
Hysterische Debatten um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? Schrille Demonstrationen für das Recht auf Abtreibung? Wilde Schmähbriefe für die weibliche Anrede auf Bankformularen? Feminismus gilt in der Postmoderne gemeinhin als peinlich, die Zweite Frauenbewegung als – gottlob – tot. Doch die Kritik an der zähen Aufdringlichkeit der Emanzen kommt häufig nicht minder aufgeregt daher als die Geschmähten selbst. Ein Essay von Cristina Nord
Zum Beispiel Matthias Matussek. „Es reicht!“ ruft er in seinem Buch „Die vaterlose Gesellschaft. Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf“ im vergangenen Jahr. Nicht länger will er hinnehmen, daß „hart arbeitende Männer und liebende Familienväter als Gewalttäter oder Sexprotze im öffentlichen Diskurs verhandelt wurden und werden“, will sich nicht damit abfinden, daß „'Gleichstellungsbeauftragte‘ absolutistische Vollmachten in Frauenhand gegeben haben“, will nicht dulden, daß Frauenbeauftragte, Sozialpädagoginnen und „die feministische Meinungsnomenklatura in den Redaktionshäusern“ sich als Sprachrohr der Frauen im Lande aufführen, ohne ein Mandat dafür zu haben.
Matthias Matussek hat ein zunächst durchaus nachvollziehbares Bedürfnis: Ihm ist um die Väter zu tun, die nach derzeitiger Gesetzeslage im Fall einer Scheidung oder Trennung auf das Wohlwollen der Mütter rechnen müssen, wenn sie ihre Kinder sehen wollen. Von einem sachlichen Umgang mit seinem Sujet ist der Spiegel-Autor freilich so weit entfernt wie Alice Schwarzer von einem Hohelied auf die heterosexuelle Liebe. Statt dessen nutzt er seinen Gegenstand, um eine Schmährede gegen all das zu lancieren, was er unter Frauenbewegung und Feminismus versteht. Im Herzen der Tirade schlummert ein reaktionäres Idyll: Früher, als die Geschlechter noch um ihren Platz wußten, als der Mann die Rolle des Ernährers übernahm und die Frau sich den Kindern widmete, sei es allen Beteiligten besser ergangen als heute.
Nicht nur Matthias Matussek reagiert mit rückwärtsgewandten Entwürfen auf die Verunsicherungen, zu denen ein sich wandelndes Rollengefüge unweigerlich führt. Diesseits und jenseits des Atlantiks mobilisieren so unterschiedliche Autoren und Autorinnen wie Camille Paglia, Henryk M. Broder, Katharina Rutschky, Rainer Zitelmann oder Warren Farrel gegen Feminismus und Frauenbewegung – oder gegen das, was sie dafür halten. „Emanze“ hat sich als Schimpfwort etabliert, junge Frauen, so geht es in regelmäßigen Abständen durch die Presse, gefallen sich als selbstbewußte Girlies, nicht als feministische Dogmatikerinnen. Und wer gibt schon gern die Quotenfrau?
In Argumentation und Rhetorik greifen Feminismusgegner und -gegnerinnen auf erstaunlich ähnliche Strategien zurück. Symptomatisch etwa, daß zur Begründung geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens die Biologie bemüht wird – das Soziale erscheint als Schicksal. „Der Mann“, weiß beispielsweise Camille Paglia, „ist nach seiner Körperform zum Eindringen bestimmt, während die Frau das Verborgene bleibt, eine Höhle archaischer Nacht. Keine Gesetzgebung und kein Beschwerde-Ausschuß für sexuelle Belästigung kann an diesen Grundtatsachen etwas ändern.“ Zu einer solchen Argumentation passen die gewaltgeladenen Metaphern, die schnell bei der Hand sind, wo es um neu sich ordnende Geschlechterverhältnisse geht. Da ist von Terror die Rede und von Krieg, von Apartheid, Klassenkampf und Hexenjagd. Als stünden Männer und Frauen heute, drei Jahrzehnte, nachdem die zweite Frauenbewegung ihren Auftakt genommen hat, mit blitzenden Messern einander gegenüber. Als ginge es nicht um gesellschaftspolitische Konflikte, sondern um blutig geführte Fehden archaischen Zuschnitts. Und als läge die Schuld allein bei der Frauenbewegung.
Als Ausgangspunkt für die Argumentation dient dabei oft die Konstruktion eines feministischen Establishments, das die Macht im Staate übernommen hat. Bei Matussek findet diese Fiktion Ausdruck in der griffigen Vokabel „Feminat“, anderswo buchstabiert sie sich so: „Feministisches Gedankengut ist, getarnt als 'Gleichstellung von Mann und Frau‘, mittlerweile in Parlamente, Koalitionsvereinbarungen, Gesetzgebung und Wirtschaft eingedrungen. Von dort aus beginnt der sexistische Virus unsere Gesellschaft zu spalten, Frauen und Männer zu entsolidarisieren.“ So Felix Stern in einem Aufsatz mit dem Titel „Feminismus und Apartheid. Über den Krieg der Geschlechter“, der 1994 in „Die selbstbewußte Nation“ (1994), einem Sammelband rechtsintellektueller Standortbestimmungen, zum Abdruck kam.
Stern entfaltet mit diesen beiden Sätzen ein Panorama, das nichts über tatsächliche Machtverhältnisse und viel über die Phantasie des Autors aussagt. Zumal im Erscheinungsjahr des Textes, als der Konservatismus der Kohl-Ära alternativlos waltete, muß die von ihm konstatierte Vormacht „feministischen Gedankenguts“ illusorisch wirken. Suggestiv auch die Verkehrung, daß Sexismus eine Bedrohung darstelle, die von der Frauenbewegung ausgehe. Schließlich – und unübersehbar – ruft das von Stern bemühte metaphorische Feld von Tarnung, Unterwanderung, Krankheit und Infektion hinlänglich bekannte Denktraditionen auf. Schon die Gegner der ersten Frauenbewegung, die sich 1912 zum „Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ zusammenschlossen, bedienten sich eines Vokabulars, das aus gesellschaftspolitischen Konflikten eine Frage von Sauberkeit und Volksgesundheit machte.
Kathinka von Rosen zum Beispiel schrieb 1913 in der Zeitschrift Hammer: „Was mich in helle Empörung versetzt, ist der gänzliche Mangel an völkischem Empfinden. Unsere Frauen müssen doch gewahr werden, daß die Frauenbewegung antideutsch, voll fremden, giftigen Geistes ist.“ Das antisemitische bindet sich an das antifeministische Ressentiment: eine unselige Mischung, die ihr dumpfes Pendant gut siebzig Jahre später finden soll, als im Rahmen der Anti-Pornographie-Debatte die zum Opfer stilisierte Frau wiederholt mit den im Nationalsozialismus verfolgten Juden gleichgesetzt wurde. Argumentative Verknappung ist kein Privileg von Antifeministen.
Die wiederum gefallen sich in der Rolle des Tabubrechers. Als einer der wenigen Aufrechten, so die Selbsteinschätzung, trotze man einem feministischen Regime, selbst auf die Gefahr hin, mundtot gemacht zu werden. Katharina Rutschky beobachtet den gleichen Prozeß bei Alice Schwarzer – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Obwohl längst etabliert, obwohl nie darum verlegen, die eigenen Texte zu veröffentlichen, stellt sich die Emma-Chefredakteurin noch immer als Verfemte dar. Rutschky nennt das zu Recht eine „sonderbare Selbsteinschätzung“; für einen Autor wie Matussek läßt sich ähnliches bemerken.
Darüber hinaus haftet dem Gestus des Tabubruchs mittlerweile etwas Rituelles an. So reflexhaft die einen die Greueltaten des Patriarchats beklagen, so reflexhaft wähnen die anderen in jedem Einwand, jeder Kritik die Schere der Zensorinnen am Werk. Dabei dient das Rütteln am vermeintlichen Denkverbot, dient das tapfere Anstreiten gegen eine imaginierte Einheitsmeinung vor allem der munteren Selbstprofilierung. Sind Fälle überliefert, in denen, wer das große „I“ im Substantivplural vergaß, bestraft wurde? Wer weiß von Autoren, die „Mannschaft“ anstelle von „Team“ schrieben und deswegen ihre Arbeiten nicht gedruckt sahen?
Auch Katharina Rutschky betrachtet sich als eine, die unliebsame Dinge beim Namen nennt. Anders aber als Matussek und Stern weiß sie, wovon sie schreibt. Während etwa der Spiegel-Autor im Literaturverzeichnis kein einziges der feministischen Standardwerke anführt und als Beleg für seine Schmährede Artikel aus Cosmopolitan oder dem Berliner Stadtmagazin tip zitiert, kennt Rutschky sich aus bei Alice Schwarzer oder Susan Faludi, hat sie Simone de Beauvoir gelesen und das Programm des „Frauenselbsthilfeladens im 13. Mond“ dazu. Das nimmt ihrem kürzlich erschienenen Buch „Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus“ zwar nicht den Charakter einer Abrechnung. Doch die Kritik, die die Berliner Autorin vorbringt, ist – im Gegensatz etwa zu Paglias Männlichkeitselogen – durchaus ernst zu nehmen.
Das beginnt mit der Entzauberung des Ursprungsmythos. Rutschky will abschälen, was sich an Legenden um jene Tomate gelegt hat, mit der Sigrid Damm-Rüger am 13. September 1968 im Verlauf einer SDS-Konferenz auf Hans Jürgen Krahl zielte. Ähnlich wie die Ausschreitungen, die im Juni 1969 infolge einer Razzia in der New Yorker Christopher Street ausbrachen und heute den mythischen Bodensatz für schwule und lesbische Identitätspolitik bilden, wird dieser Vorfall zur Geburtsstunde der zweiten Frauenbewegung stilisiert.
Rutschky stellt sich dieser Interpretation entgegen, indem sie Damm-Rügers Tat von der „feministisch korrekten Umschrift“ zu bereinigen und den wirklichen Hergang zu rekonstruieren sucht. Daß das angesichts der Vielzahl widerstreitender Versionen nicht gelingen kann, liegt auf der Hand. Wichtig ist vielmehr die Frage, wieviel Mythenbildung in feministisch buchstabierter Geschichtsschreibung steckt – und welchem Zweck sie dient. Denn wem daran liegt, „durch Beschwörung der gemeinsamen Geschichte Konflikte zu verdrängen, die den Zusammenhalt der Gruppe gefährden“, nimmt eben immer auch billigend in Kauf, daß Widersprüche und Ambivalenzen unter der identitätsstiftenden Historie verborgen bleiben.
Ein zweiter, ernst zu nehmender Aspekt in Rutschkys Polemik ist die Kritik am Opferdenken. Das mag sich zwar aus theoretischen Diskussionen allmählich verabschieden; in der Praxis aber spielt es nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zu den Topoi der Anti-Gewalt-Arbeit gehört, daß eine Frau immer und überall männlicher Aggression ausgesetzt sei; arg strapaziert wird auch der Begriff der strukturellen Gewalt. Das hat zweifellos den Vorteil, daß Gewalterfahrungen nicht als Einzelschicksal wahrgenommen werden, birgt aber zugleich die Gefahr, daß die Grenze zwischen verbalem und körperlichem Angriff verwischt wird. Blättert man durch die Selbstdarstellung eines Autonomen Frauenhauses oder durch die Auswertung einer Fragebogenaktion, die auf Betreiben verschiedener Berliner Frauenzentren 1996 und 1997 zum Thema „Gewalt gegen Lesben“ durchgeführt wurde, so drängt sich der Eindruck, der Opferstatus werde kultiviert, förmlich auf. Rutschky spricht in diesem Zusammenhang von „einem sonderbar ort- und zeitlosen Bild männlicher Täterschaft und weiblicher Leiden und dem hilflosen Ruf nach schärferen Gesetzen, von denen wir wissen, daß sie nicht einmal dort helfen, wo Polizei und Justiz funktionieren“.
Zu ergänzen wäre, daß die Behauptung allgegenwärtiger Bedrohung lähmt, indem sie die Opferrolle festschreibt. Zugleich lassen sich mit Hilfe dieser Behauptung Betroffene konstruieren, denen in einem zweiten Schritt eigene Entscheidungsfähigkeiten, eigene Handlungsspielräume abgesprochen werden können. Wieviel Bevormundung dabei im Spiel ist, läßt sich am Umgang mit Themen wie Prostitution und Sexindustrie ablesen.
Bis sich Prostituierte zu Gruppen wie „Hydra“ zusammenschlossen, um ihre eigenen Forderungen vorzutragen, galten sie als Prototyp des Opfers: „Sybille ist mit acht vom türkischen Freund ihrer Mutter vergewaltigt worden und dann immer wieder, bis sie zehn war und in ein Heim kam. Und vom Heim in die Oben-ohne-Bar“, heißt es in einer Emma-Reportage über Frauen, die in der Pornoindustrie arbeiten. Ist die Biographie erst einmal auf die entsprechend skandalträchtigen Eckdaten reduziert, kommt niemand mehr auf die Idee, so etwas wie Selbstbewußtsein, Stolz und Handlungsfähigkeit zu erwarten.
Wichtig auch Rutschkys Einwände, was das Beweismaterial etwa für den Opferdiskurs angeht: Statistiken und Prozentzahlen begegnet sie mit einem berechtigten, mit einem nötigen Mißtrauen. Was natürlich nicht verhindert, daß Feminismusgegner unvorsichtig mit fragwürdigem Zahlenmaterial umgehen. Matussek etwa jongliert gerne mit Prozentsätzen: „Aus vaterlosen Familien stammen in den USA 63 Prozent der jugendlichen Selbstmörder, 71 Prozent der schwangeren Teenager, 90 Prozent aller Ausreißer und obdachlosen Kinder.“ Kein Wort über Einkommens- und Wohnverhältnisse, über Bildung, über die Schichtzugehörigkeit oder rassistisch motivierte Diskriminierung.
Das Beispiel weist den Weg zum Kern des Dilemmas: Die Kritik, die am Feminismus vorgebracht wird, äußert sich mindestens ebenso erregt und unsachlich, wie man es den frauenbewegten Gemütern so gerne unterstellt. Dies gilt für einen Autor wie Matussek, teilweise aber auch für Rutschky. Warum etwa nimmt sie Anstoß daran, daß Feministinnen, um die Zumutungen des Patriarchats zu illustrieren, in Ermangelung besserer Belege auf misogyne Pseudowissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert zurückgreifen? Zitiert sie doch mit dem Programm des „Frauenselbsthilfeladens im 13. Mond“ eine vergleichbare Marginalie, wenn sie die Beschränktheit der Frauenbewegung untermauern will. Und warum beklagt sie sich über entstellendes Paraphrasieren und Zitieren, wenn sie selbst in ihrer Judith-Butler-Interpretation so vereinfachend vorgeht, daß von den Entwürfen der Theoretikerin nichts übrig bleibt? Eine Kritik, die sich erhitzt, die das vorschnelle Urteil dem kühlen Räsonieren vorzieht, mache es sich leicht, sagt Rutschky mit Recht – und scheint dabei zu übersehen, daß ihre Einwände keinen Weg aus der Erregung weisen.
Cristina Nord, 30, freie Autorin aus Berlin, schreibt zu Kultur- und Frauenthemen. Katharina Rutschky: „Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus“. Hanser Verlag, München 1999, 160 Seiten.
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