: In der Falle freundlichen Schweigens
Outing war schon vor Rosa von Praunheims spektakulärer Aktion anrüchig und ist es erst recht, seit ein Berliner Verlag angeklagt wurde, weil er unautorisiert einen Nachrichtensprecher als schwul bezeichnet hatte. Vor allem liberal gesinnte Menschen finden öffentlichen Tratsch unpassend. Ihr Motiv, die Sexualität öffentlich vor angeblich spießiger Doppelmoral zu schützen, hat freilich den gegenteiligen Effekt erzielt: Über Lesben und Schwule wird wieder nur getuschelt – als ob es um einen Charakterfehler gnge oder um eine peinliche Krankheit Von Jan Feddersen
Als Rio Reiser, der spätere „König von Deutschland“, Anfang der achtziger Jahre auf einer Pressekonferenz seine neue Platte vorstellte, sagte er zu Gästen des Promotion-Termins, sie könnten, um ihre Geschichten menschlich mit ein wenig mehr Fleisch zu versehen, gerne schreiben, daß er schwul sei. Der Musiker merkte allerdings gleich, daß niemand mitschrieb. Später sagte ihm ein Journalist, er würde das nicht tun, schließlich wolle er dem Sänger nicht schaden, das Klima im Lande sei nicht so aufgeschlossen, wie man im alternativen Milieu vielleicht denke.
Der Sänger war ratlos. Er wußte, daß das halbe deutsche Showbusineß von und durch Homos lebt, singend auf der Bühne oder im Hintergrund als Manager und in den Musikfirmen. Trotzdem mußte Reiser bei Konzerten selbst dafür sorgen, daß an seiner sexuellen Identität kein Zweifel besteht: „Ich bin schwul.“ Davon abgesehen, daß der inzwischen verstorbene „Ton, Steine, Scherben“-Mitbegründer keinen Karriereknick erleiden mußte, schwieg der Rest seiner Branche ängstlich-eisern und hoffte, daß niemand erfährt, daß all ihre Lieder vom heterosexuellen Liebesglück zumindest in persönlicher Hinsicht keine authentische Entsprechung im Privatleben haben.
Und all die Homos im Glitzergewerbe hatten ja auch viele Gründe, sich über ihre sexuelle Orientierung auszuschweigen. Die Schau funktioniert nur, wenn man dem Sänger abnimmt, was er singt. Und da erfahrungsgemäß vor allem Frauen die Tonträger kaufen, muß er so tun, als schmachte er wirklich dem heterosexuellen Liebesglück entgegen. Und – das betrifft vor allem die älteren Schlager- und Popsänger – tatsächlich gab es bis 1969 in der Bundesrepublik gute Gründe, sich in Camouflage zu üben und das eigene Schwulsein streng unter der Decke zu halten: Bis dahin war Homosexualität bei Androhung von Gefängnisstrafen schlechthin verboten.
Hat es womöglich mit diesem von schwuler Generation zu schwuler Generation überlieferten Wissen zu tun, daß nach wie vor viele homosexuelle Showleute kein Wort über ihre Nichtheterosexualität verlieren möchten? Damit, daß fast jeder homosexuelle Mensch Demütigungen kennt, entwertende Bemerkungen, gehässige Aperçus? Und damit, daß sich niemand ohne Not zum Objekt öffentlichen Geredes machen möchte?
Rosa von Praunheim war es Anfang der neunziger Jahre, der die konspirative Homoszene aufschreckte. In einer Talkshow nannte er drei öffentlich bekannte Männer, die er als schwul bezeichnete. Seine Aktion begründete er damit, daß es langsam Zeit werde, daß die prominenten Homos sich öffentlich bekennen, weil man deren Solidarität brauche – für die Aidskranken, für homosexuelle Bürgerrechte. Pädagogisch betrachtet war das eine schwarze Stunde – und dabei verstand von Praunheim sein Sprechen nicht als mißgünstiges Petzen.
Aber am Ende mußte sich der Mann, der seine Karriere Anfang der siebziger Jahre auf den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ aufbaute, bei Götz George entschuldigen. Die Behauptung, unser Schimanski sei ein Kerl der anderen Sorte, ließ sich nicht, nun ja, erhärten. War wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedankens bei diesem Vater der Homosexuellenbewegung nach 1969. Die beiden anderen Geouteten aber, Hape Kerkeling und Alfred Biolek, nahmen die Enthüllung in ihrer Sache wohl erschrocken, aber schicksalsergeben, ja: cool hin. Und: Abgestritten haben sie die Tatsache nicht, also auch nicht gelogen.
Und siehe da: Einbußen mußten beide, jedenfalls wegen ihrer sexuellen Orientierung, nicht hinnehmen. Daß der Humorist Kerkeling, die hinreißendste Königin Beatrix aller Zeiten, keine Quoten macht, liegt wohl nicht am Outing: Vielleicht sind die Leute seines Humors müde. Biolek freilich, der TV-Talkmaster aus Köln, spricht nie drüber, aber jeder, der ihm beim Plaudern zusieht, erkennt: Da hat jemand bei der Auswahl des Servierpersonals, junge Männer durchweg, nach wie vor Geschmack. Quoteneinbrüche? Ärger im Funkhaus? Keine Spur.
Im Gegenteil. ZDF-Kaffeeklatschonkel Ralph Morgenstern wäre nie zu seiner Sendung gekommen, entfaltete er nicht seine schwule Ästhetik um den Kuchentisch herum; Patrick Lindner hätte den Absprung aus der Volksmusik zum Schlager nie gestemmt, wenn er nicht vor Monaten via Bunte damit herausgerückt wäre, daß er einen Sohn adoptiert habe, den er nun mit seinem Lebensgefährten aufziehen werde. Hat ihm das geschadet? Gerade nicht: Die Wahrheit machte ihn interessant. Auf die Frage, warum er Jahre zuvor gesagt habe, auf die richtige Frau noch zu warten, räumte der Schnulzier ein, er habe gefürchtet, im Showgeschäft an eine gläserne Decke zu stoßen: Bis hierhin darfst du mitmachen, aber ganz nach oben kommst du als Homo nicht. Lindner hat geschwiegen, hatte schließlich Erfolg, mehr als die meisten anderen – und soviel Geld verdient, daß er falsche Rücksichtnahme nicht mehr nötig hat.
Eine löbliche Ausnahme.
Der „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa indes verklagte den Berliner Queerverlag, weil sein Name im lexikalisch gehaltenen Buch „Out“ als schwul rubriziert wurde. Davon abgesehen, daß der Autor des Werks verschiedene gute und keineswegs tratschhaft inspirierte Gründe hatte, den Zögling des offen homosexuellen, inzwischen verstorbenen Nachrichtensprechers Werner Veigel als schwul wahrzunehmen, war an den Äußerungen Riewas vor allem dies erschrekkend: Daß er beispielsweise im Focus-Interview so tat, als würde seine Ehre beschmutzt, gälte er als schwul.
Im Grunde ist es trostlos. Was soll schon dabei sein, wenn alle Welt darüber spricht, daß einer oder eine schwul beziehungsweise lesbisch ist? Über heterosexuelle Menschen wird doch auch dauernd getuschelt. Ihre Ehen und sonstigen Krisenfälle sind Teil der öffentlichen Anteilnahme. Es ist die Funktion von Prominenz, daß die Öffentlichkeit an ihrem Leben mit Mutmaßungen teilhaben darf – und die klügeren Menschen aus der Showbranche wissen das auch.
Andere Länder, andere Errungenschaften. In den Niederlanden ist der Entertainer Paul de Leeuw eine Art Mischung aus Thomas Gottschalk und Harald Schmidt: ein Quotengott also. Aus seiner Homosexualität hat er nie einen Hehl gemacht. Wenn Königin Beatrix zum Sommerfest lädt, ist der Mann dabei, ebenso wie sein Lebensgefährte, der selbstverständlich nicht draußen bleiben muß. In Schweden ist der Schriftsteller Thomas Gardell eine moralische Instanz – durch seine Romane und TV-Shows. Er genießt nicht nur bei Jüngeren einen sehr guten Ruf, ebenso in allen anderen Publikumsschichten. Er ist frech und charmant zugleich. Sein Schwulsein? Ist jedem Kind zwischen Malmö und Lulea bekannt, aber kein Grund zu häßlicher Nachrede.
Was Rosa von Praunheim auch immer getrieben haben mag, andere Männer zu outen, einen Grund könnte jeder verstehen, der keine Scheu hat, mit seiner oder ihrer Homosexualität offen umzugehen: Die meisten Homoprominenten haben selbst wenig zur Liberalisierung, zur Aufhellung der Stimmung über den Stammtischen beigetragen und haben doch stets die Früchte dieses Homofrühlings genossen, Vorsitzende der Union ebenso wie Sozialdemokraten oder liberale Vorstandssekretäre.
Das vergessen die Kritiker des Praunheimschen Outings gerne, vor allem die heterosexuellen, die plötzlich so einfühlsam Partei ergriffen für die enthüllten Männer. Sie sollen ihren Preis zahlen für die Arbeit, die andere geleistet haben. Daß dies nicht per Zwangsouting geschehen kann, versteht sich schon allein deswegen, weil jeder und jede – ob sie nun Ulrike Folkerts („Tatort“) oder Georg Uecker („Carsten Flöter“) heißen – das Recht hat, sich erst genug Kraft zuzulegen, um eventuellen Gehässigkeiten etwas entgegenzusetzen. Den Zeitpunkt, es den Eltern zu erzählen, muß jedeR selbst wählen können.
Aber im Herbst wird es vermutlich zum Schwur kommen, dann geht es um mehr als um die Frage: „Wie verkraften es meine Eltern?“ Wird die Union wie beim Doppelpaß eine Kampagne gegen die Quasi-Homoehe starten? Und wenn ja, wenn also diese Partei ähnlich infam auch bei der Homofrage agieren sollte: Wie werden sich jene Minister verhalten, die im Kabinett Helmut Kohls mitregierten und als schwul bekannt sind?
Aber weshalb sollte man sie nicht nachdrücklich an ein politisches Interesse erinnern, das auch sie teilen müßten, von dessen Durchsetzung sie profitieren werden – und an dessen Realisierung sie teilhaben können? Wenn sie nur schwiegen, so wie eine liberale Öffentlichkeit es gerne hat. Doch wenn sie, womöglich gewohnt, nur camoufliert Karriere zu machen und abhängig von der Gunst heterosexueller Mitwisser ihres Geheimsten, wenn sie also mitmachen gegen eines der wichtigsten Projekte der rotgrünen Regierung: Wäre es dann nicht wirklich Zeit, ihnen die Veröffentlichung ihrer Heuchelei anzukündigen?
Jan Feddersen, 41, Redakteur im taz.mag, findet versteckt lebende Homosexuelle, außer im Kloster, langweilig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen