: „Aber Geld genug“
Kieler Wissenschaftler eines Graduiertenkollegs versuchen sich an der Frage, was der Begriff „Norden“ mit Leben zu füllen ist ■ Von Rüdiger Ewald
Als Begriff ist der „Norden“ ebenso bekannt wie unpräzise. Weil allein die Lage des Nordens schon relativ unbestimmt, geschweige denn die Bedeutung des Nordens klar ist, wollen Wissenschaftler an der Kieler Christian-Albrechts-Universtität diesen Fragen jetzt auf den Grund gehen. Zum Wintersemester beginnt ein Graduiertenkolleg für Doktoranden, in dem sich junge Forscher aus verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen mit dem Inhalt des Begriffs Norden auseinandersetzen werden.
Themen für die jungen Wissenschaftler bieten sich nach den Vorstellungen der Kieler Geschichts- und Literaturwissenschaftler sowie der Vertreter der Kunstgeschichte und aus der Volkskunde in großer Zahl. Dies beginnt schon bei den Mythen über den Norden. Beispielsweise in der geographischen Einordnung: Hört aus nördlicher Perspektive der Norden in Hannover auf, in Hamburg oder gar am Nord-Ostsee-Kanal, wie es scherzhaft in Flensburg heißt?
„Für das Selbstverständnis europäischer Kulturen ist es schon immer bedeutsam gewesen, ob sie sich als südlich oder nördlich einstuften oder so eingeschätzt wurden“, erklärt Prof. Thomas Haye vom Institut für Klassische Altertumskunde der Hochschule und Sprecher des Projekts. Sogenannte Sinn-Zentren lagen in vergangenen Jahrhunderten meist im Süden, etwa in Athen, in Rom oder in Jerusalem. Erst in der technisierten Neuzeit, im 16. Jahrhundert, verschob sich der Schwerpunkt nach Norden. Der Begriff des Nordens wandelte sich in verschiedenen Epochen: Es gab das von Rom aus gesehene transalpine, barbarische Europa, die Kultur der Wikinger und Normannen, das protestantische Europa in Abgrenzung zu den katholischen Ländern im Süden, die Niederlande und den Nordseeraum bis hin zum Skandinavien im heutigen Nordeuropa.
Der Süden galt – und gilt zum Teil bis heute – als angenehmer, natürlicher Lebensraum. In Goethes „Italienischer Reise“ heißt es, „Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des Paradieses zu sein, und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen Begriff: Immer Schnee, hölzerne Häuser, große Unwissenheit; aber Geld genug“. Ein Leben außerhalb der griechisch-lateinischen Kultursphäre galt zeitweise als unbedeutend. Wer im Norden lebte, gehörte nicht dazu, die symbolischen Zentren dieser Zeit lagen im Süden, nicht im Norden.
„Die Vorbereitungen für dieses Graduiertenkolleg haben bereits vor drei Jahren begonnen“, berichtet Haye. „Die Frage, was Norden eigentlich heißt, ist der Kieler Uni aufgrund ihrer Lage auf den Leib geschneidert.“ Junge Forscher verschiedener Fächer und ihre Betreuer würden im Kolleg eng zusammenarbeiten. Als Stipendiaten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Land gefördert werden, müssen sie regelmäßig über den Fortgang ihrer Arbeit Rechenschaft ablegen. Das Stipendium erlaubt dagegen ein konzentriertes Arbeiten, weil nicht nebenher noch Geld für den Lebensunterhalt verdient werden muß. Für die in Kiel beteiligten 13 Professorinnen und Professoren bedeute diese Art der Betreuung von Doktoranden zwar Mehrarbeit, doch der interdisziplinäre Austausch mit den Kollegen der anderen Fachdiszplinen bringe Lerneffekte für alle.
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