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Kampf gegen Vergänglichkeit

■ Tragikomische Selbstvergewisserung: „Orientierung und Motiv“

Blumen, immer wieder Blumen: Auf dem Umschlag der 163 Fotoalben glänzen sie und auf den meisten der 6.000 Bilder von Haus und Garten. Diese versessene Versicherung der engeren Heimat fand der Hamburger Künstler Bernhard Liebenberg in einem Nachlaß. Jetzt ist alles nebst einem gemütlichen Sofa im Kunstraum von KX auf Kampnagel aufgestellt und kündet in der Ausstellung „Orientierung und Motiv“ von der Vergeblichkeit 25jährigen Kampfes gegen die Vergänglichkeit.

Mit ihrer privaten Dokumentation die Öffentlichkeit aufrütteln will dagegen die Hamburgerin Brunhilde Hesselbarth. Sie fotografierte jeden der zahlreichen LKWs, die unter der S-Bahnbrücke nebenan steckenblieben: bisher einhundertmal. Da wird Realität zur Satire. Ähnlich geht es den provinziell dekorierten Sitzecken, die dem Leipziger Fotografen Bertram Kober seit 1986 in Ost und West, vor allem aber in Sachsen, aufgefallen sind. Sein Blick auf die wenig einladenden Interieurs ist eher melancholisch. Denn er verströmt um so stärker den Geruch von ungelebtem Leben, je schöner die Sehnsucht nach Natur, Fliegen und Liebe in den Polstern gerinnt, die an so vielen Orten trotz Häkeldecke und Holzimitat die Möglichkeit kleiner Fluchten vor-gaukeln.

Auf Größeres ausgerichtet ist das autodidaktische Fotowerk von F. H. Zeztmann: die völlige Erfassung einer ganzen Stadt. 1988 zog der Kieler nach Berlin und versuchte dann drei Jahre lang in Tausenden von Schnappschnüssen, sich die Stadt anzueignen und sie nach Straßen, Plätzen, Kinos und anderen Stichworten zu archivieren.

Bisher gab die „1. triennale der photographie“ kluge Kommentare zum Realitätsgehalt der Bilder. In dieser Ausstellung aber verschiebt der künstlerische Blick auf allerlei Sammlungen den heroischen Versuch der fotografischen Weltaneignung ins tragisch-komische. Denn im Bestreben des vollständigen Erfassens wird das notwendige Scheitern offenbar. Und es zeigt sich eine eigenartige Dialektik: Ein Foto mag lügen – hundert Fotos können schon etwas belegen und bewegen. Tausend Fotos haben etwas leicht verrücktes – 6.000 Fotos nötigen als manischer Kampf gegen die Flüchtigkeit des Lebens schon wieder Respekt ab.

Hajo Schiff

KX – Kunst auf Kampnagel, Jarrestr. 20; Do + Fr 16.00 - 20.00 Uhr, Sa + So 14.00 - 18.00 Uhr, bis 11. Juli. Bernhard Liebenberg erstellt auf Bestellung als 164. Album einen Fotoindex der 163 gefundenen Fotoalben.

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