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Mit dem Krieg in die Kurve

All die Jahre ging es mit dem „ND“ so abwärts wie einst mit der DDR. Es brauchte die Nato und einen Westler, schon ist man wieder kampfbereit    ■ Von Robin Alexander

auptsache es geht vorwärts. Die Richtung ist egal.“ Glasgerahmt hängt dieser Spruch irgendwo hinter den schönen Bogenfenstern, die die Touristen auf den Spreekähnen immer übersehen. Das Gebäude liegt weit im Osten von Berlin, hinter der Elsenbrükke, wo sich nachts Huren auf dem Straßenstrich an den Mann bringen. Vorwärts geht es hier schon eine Ewigkeit nicht mehr.

Und die Richtung ist überhaupt das Wichtigste. „Wir bleiben, was wir sind: sozialistische Tageszeitung“, bekräftigt Jürgen Reents. Die Halle gehört dem Neuen Deutschland, und neuerdings gibt es dort einen Grund, Verdächtigungen über Kursänderungen entschieden zu zerstreuen. Vor zwei Monaten hat die PDS diesen Reents berufen. Einen Wessi. Die treue Leserschaft, immer noch zu knapp 100 Prozent aus dem Osten und zum größten Teil auch schon zu DDR-Zeiten dabei, staunte nicht schlecht. Die Belegschaft kaum weniger.

Heute morgen sind die Mitarbeiter aber guter Dinge. „Besuch sind wir mittlerweile gewohnt“, ruft Claus Dümde. Der braungebrannte Altredakteur berichtet strahlend vom Spiegel, der einen Berichterstatter geschickt hat, ebenso wie die FAZ – „einen Feuilleton-Menschen, der sich nie Notizen machte“. Einer jungen Reporterin hat Dümde sogar ein abgewandeltes Stalin-Zitat in die Süddeutsche Zeitung diktiert. Das ehemalige Zentralorgan der SED findet wieder Aufmerksamkeit. Nicht nur bei der „bürgerlichen Presse“, sondern auch „beim Leser draußen“. An der „Wandzeitung“ hängt eine leicht steigende Kurve, Überschrift: „Kosovo-Krieg“.

Endlich kommen ebenso viele neue Abos wie Abbestellungen, zum ersten Mal seit 1989. Und das eigentliche Wunder ist: Der neue Chef läßt sich nicht feiern für diesen Erfolg. Die Berichterstattung über Jugoslawien habe er nur wenig geprägt, wehrt Reents ab, „den Beginn des Krieges habe ich ja beinahe um einen Monat verpaßt“.

Die Kollegen waren so zwar ohne Anführer im Krieg. Dafür waren sie mit allen Kräften dabei. „Der Krieg ist bei uns eine gesamtredaktionelle Aufgabe.“ Korrespondenten, die mit eigenen Augen vom Balkan berichten, hat das Blatt zwar seit Jahren nicht mehr. Das macht aber nichts, Bescheid wissen hier sowieso alle.

Frank Wehner, Politikredakteur, kommentiert mit 30 Jahren ND-Erfahrung: „Verhältnisse real einzuschätzen, ist auch heute noch nicht die Stärke imperialistischer Strategen.“ Ausgerechnet der ehemalige Jugoslawien-Botschafter der DDR, Ralph Hartmann, erklärt im Interview die „geostrategischen Nato-Ziele“. „Die beste Kriegsberichterstattung überhaupt“, sagt ein der Redakteur. „Eindeutigkeit“, freut sich ein anderer, „das will der Leser.“

„Der Neue ist ein Profi“, sagt einer, „ein Politprofi“

Allein beim Neuen, bei Jürgen Reents, hält sich die Seligkeit über die tolle Kriegsauflage in Grenzen: „Ich frage mich schon, ob wir den Nato-Angriff gegenüber dem Flüchtlingselend immer richtig gewichtet haben.“

Nicht nur den Kriegsusbruch hat er verpaßt, heute kommt Reents auch zur Redaktionskonferenz fast zu spät. Die sei „prinzipiell offen für alle“, sagt er und blickt auf freie Plätze, obwohl kaum zwanzig Stühle im Konferenzraum stehen. Lediglich die Ressortleiter sind gekommen.

Da kennt der Chef ganz andere Streitkulturen. 1981 hat er die Grünen erst mitgegründet und anschließend gemeinsam mit den „Ökosozialisten“ beinahe in die Spaltung gestritten. Ein richtiger Öko war er nie. Aber immer noch sieht er aus wie einer der netten Peter Lustigs von damals. Ein kluger Kopf mit grauem Schnauzer und einem Rest Struwwelhaar auf einem hageren Körper, um den ein französisches Comic-T-Shirt schlabbert. Darüber immerhin eine saloppe Weste.

Reents mußte von Gregor Gysi lange überredet werden, erster West-Chef im Ostalgiebetrieb ND zu werden. Es ist zwar lange her, aber er war mal so etwas wie ein Journalist. Da gab er in Hamburg den kommunistischen Arbeiterkampf heraus und schrieb später für das linksgrüne Moderne Zeiten. Frisch parteilos geworden, managte Reents ab 1991 als Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion Gysis öffentliche Auftritte. „Er ist ein Profi“, sagt Redakteur Dümde anerkennend; „ein Politprofi.“

Beim ND ist zur Zeit eher journalistisches Talent gefragt. „Ab morgen erscheinen die Kommentare am Ende des ersten Buches“, erinnert Reents die Konferenzteilnehmer an diesem Tag Mitte Juni. Eine kleine Layout-Veränderung nur, aber das Kollektiv zweifelt: „Was werden die Leser sagen, wenn unsere Meinung von Seite zwei auf Seite zehn rutscht?“ Reents weiß, jetzt, da der Krieg vorbei ist, beginnt seine Arbeit erst. „Es gibt hier eine Neigung, Argumentationen durch gewohnte Begrifflichkeiten aus dem Kalten Krieg zu ersetzen.“ Die alten Zeiten wird er so schnell nicht aus den Köpfen seiner Redakteure kriegen, und neue, junge Schreiber kann er nicht einstellen. Wenn Reents von seiner Redaktion spricht, sagt er manchmal „Apparat“. Gegen den kommt er nur von oben an. Einen Artikel zum Jahrestag des Pekinger Massakers („reine Rechtfertigung der chinesischen Politik“), hat er in letzter Minute gekippt. Der antiautoritäre Reents läßt sich die Schlagzeilen „täglich um 16 Uhr vorlegen“. Neulich hat er sogar gereimt: „Ist der Ruf erst ruiniert, spar'n sie völlig ungeniert.“

Offen kritisiert kein NDler die Schlagzeilenlyrik des Chefs. „Wir müssen ironischer werden!“, fordert Reents und druckt auf Seite zwei eine Sprechblasenmontage mit zwei Joschkas. „Das habe ich schon vor Jahren für den internen grünen Gebrauch gemacht und Joschka geschickt.“ Niemand schützt Reents vor Peinlichkeiten und Fehlern. Nach der Redaktionskonferenz bleibt er rasch allein. Als Stellvertreterin hat die Redaktion eine der Ihren durchgesetzt, den neuen Chef vom Dienst bestimmte der Geschäftsführer.

„Wir müssen polarisieren. Mit menschlichen Themen“

Wie weit sich das Blatt öffnen kann, wird ohnehin weder im Karl-Liebknecht-Haus der PDS noch im übersichtlichen ND-Konferenzraum entschieden, sondern eine Etage tiefer. Hier berlinert ein kleiner kräftiger Mann, dessen Polohemd ein Lacoste-Plagiat ist und der seit der Wiedervereinigung die Dinge beim ND kommen und gehen sieht. Geschäftsführer Wolfgang Spickermann hat sogar immer mal wieder selbst den Chefredakteur gemacht. Über seinem großen Schreibtisch hängt dieser Spruch, der so gar nicht zum Neuen Deutschland passen will, daß die Richtung egal sei, Hauptsache, es gehe vorwärts. Warum es in der Auflage endlich vorwärtsgeht, erklärt er nicht mit dem West-Chef und nicht mit dem Krieg, sondern mit Zetteln aus seiner grauen Geschäftsführermappe: „Hier, sehen Sie, im März zogen die Zahlen an. Vor dem Krieg.“ „Kommissarischer Chefredakteur“ sei damals übrigens er selbst gewesen, erwähnt Spickermann beiläufig. Schuld an allen Problemen der Vergangenheit habe vor allem der alte Chefredakteur Reiner Oschmann, der im Februar nach einem Machtkampf mit Spickermann zurückgetreten war. Ein paar von dessen Schlagzeilen liegen auch in Spickermanns grauer Mappe, die, die der Geschäftsführer am mißlungensten fand.

Spickermanns Konzept klingt etwas simpler als das von Jürgen Reents: „Das ND lebt von menschlich-sozialen Themen, die unsere Gesellschaft polarisieren.“ Klare Kante zukünftig also, auf dem Balkan und an der Heimatfront. Aber kann man solche Zeitungen heute noch verkaufen? Zumindest für die nahe Zukunft ist Spickermann optimistisch: „Im Kosovo bleibt es ja noch spannend.“

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