piwik no script img

„Ich fühle mich wie eine Siegerin“

 Nach ihrer Finalniederlage gegen Lindsay Davenport verabschiedet sich Tennisspielerin Stefanie Graf von Wimbledon – womit nicht mehr viel bleibt   ■  Aus Wimbledon Matti Lieske

Aschenputtel hatte wieder kein prachtvolles Ballkleid und kleine gläsernen Schuhe dabei, den Prinzen bekam sie trotzdem, wenn man diese etwas altertümliche, in England aber nicht unangebrachte Symbolik für die Siegerschale von Wimbledon verwenden will. Tapfer hatte Lindsay Davenport alle Kränkungen, die ihr vor und während dem Turnier zuteil wurden, weggesteckt: Daß man sie in der Setzliste hinter Steffi Graf zurückstufte, daß die englischen Buchmacher ihr etwa so viele Chancen einräumten wie Marlene Weingärtner, daß man sie nur auf die großen Showcourts ließ, wenn es gar nicht anders ging, und daß tagelang von dem Steffi-Graf-Match gegen Venus Williams als dem eigentlichen Finale die Rede war. Um so genüßlicher fiel das Lächeln der 23jährigen aus, als sie gestern Graf im echten Finale mit 6.4, 7:5 bezwungen hatte. Damit ist sie ab heute die WTA-Nr. 1.

Die Leidtragende der Cinderella-Story war Steffi Graf, und genauso sah sie auch aus. Für die 30jährige brach eine halbe Welt zusammen angesichts der unbarmherzigen Dominanz von Davenport. Deren gemessenes, methodisches, unspektakuläres Tennis ließ schnell ahnen, warum ihre Fangemeinde noch kleiner ist, als es die von Ivan Lendl jemals war.

Graf hatte immer wieder betont, wie wichtig Wimbledon 1999 für sie war. „Alles, was ich in den letzten Monaten tat, war dafür“, sagte sie häufig, der French-Open-Sieg war lediglich ein – allerdings willkommenes – Abfallprodukt.

Nach dem Finaldebakel kam die Erklärung, warum dieses Turnier so bedeutend war: Möglicherweise war es ihr letztes. In ihrer verdrucksten Weise sagte sie das jedoch nicht, sondern erklärte lieber eine Art Pseudo-Nichtrücktritt. „Ich werde nie mehr in Wimbledon spielen“, gab sie bekannt, ein Entschluß, der schon vor dem Turnier festgestanden habe.

Nachdem sie bereits den French Open gekündigt hat, bleibt langsam nicht mehr viel übrig, und nicht nur Lindsay Davenport folgerte messerscharf: „Wenn sie Paris und Wimbledon nicht mehr spielt, ist es offensichtlich daß sie irgendwann in diesem Jahr zurücktritt.“

Es könnte also gut sein, daß man bei diesem Wimbledon-Turnier nicht nur das letzte Match von Boris Becker, sondern auch das von Steffi Graf gesehen hat. Das geballte Ende der deutschen Tennis-Herrlichkeit. Eine Bestätigung dieser Theorie ließ sich Graf jedoch nicht entlocken. Nachdem sie vorher stets verkündet hatte, daß sie zu ihrer Zukunft erst nach dem Finale Stellung beziehe, sagte sie nach dem Finale,daß sie nur Fragen zum Finale beantworten werde.

„Ich habe nicht meinen Rücktritt bekanntgegeben“, beharrte sie, doch es wäre keineswegs untypisch für Steffi Graf, wenn sie genau das Gegenteil gemeint hätte. Heimlichtuerei war stets fester Bestandteil ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Eine Abschiedsgala wie jene von Boris Becker ist ihre Sache nicht, lieber schleicht sie sich leise davon. So hatte sie es tags zuvor auch mit dem Mixed gehalten, das sie zur großen Enttäuschung von Partner McEnroe absagte.

Eine gewisse Logik hätte ein Rückzug der 30jährigen durchaus. Es läßt sich nur ahnen, wieviel Anstrengung und Quälerei es sie gekostet hat, nach ihren Verletzungen noch einmal zu dem Tennis der letzten Wochen zu finden, den Ansturm der Teenager abzuwehren, beinahe zwei Grand-Slam-Turniere in Folge zu gewinnen und in der Weltrangliste wieder in die vordersten Regionen vorzurücken. Wenn sie nur wollte, dann könnte sie, lautet die Botschaft, die nun auch die Damen Hingis oder Williams begriffen haben. Zwar fehlt noch der erstrebte letzte große Sieg, doch als Schlußakkord einer langen Karriere läßt sich ein zweiter Platz in Wimbledon durchaus sehen. „Ich fühle mich trotzdem wie eine Siegerin“, sagte Steffi Graf gestern trotzig, und es klang wahrhaftiger als manches andere, was sie an diesem Tag von sich gab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen