Frostiges Miteinander

Karens KochKunst – Die Serie der taz hamburg für Genießer. Teil 3: Eis – ein Universalgenußmittel mit erotischem Beigeschmack  ■ Von Karen Schulz

Die köstlichste Szene in dem kulinarischen Filmstreifen Tampopo: Ein Mann ißt nach einer Zahnoperation ein kühlendes Eis und wird dabei von einem kleinen Kind beobachtet, dem eine krumme Möhre an einem Bindfaden um den Hals hängt. Daneben auf einem Schildchen die Erklärung der Eltern, daß sie ihr Kind rein biologisch ernähren und deshalb darum bitten, ihm keine Süßigkeiten zu schenken. Logisch, daß der Mann dem Knirps das Eis sofort überreicht, das dieser mit Wonne verschlingt ...

Für solche Geschichten, die das Leben schreibt, ist auch die Sesamstraße bekannt: „Alle haben Eis gern, das ist wirklich wahr“, singen dort die Puppen, die sich vorher darüber gestritten haben, wer was gerne mag. Eis als Konsens? Das Gefrorene ist offensichtlich wirklich ein Universalgenuß, worauf auch der Konsum schließen läßt: So wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 453,6 Millionen Liter industriell gefertigtes Eis verputzt – das sind immerhin 7,5 Liter Eiscreme pro Kopf! Im europäischen Vergleich liegen wir damit noch nicht mal sonderlich weit vorne – erst die achte Stelle kommt den deutschen Eisessern zu, angeführt wird die Tabelle von Finnland und Schweden.

Angesichts dieser Tatsache gerät die These vom Zusammenhang zwischen Eiskonsum und Schönwetterlage arg ins Wanken. Denn auch wenn Italien mit 9,2 Litern Eisverbrauch pro Kopf und Jahr Tabellendritter ist, liegen die übrigen Südländer abgeschlagen am Ende der Liste. Und mal ganz ehrlich: Wen halten maue Temperaturen oder Regen schon davon ab, das Eis des Begehrens zu vernaschen? Nicht umsonst gibt es ja mittlerweile sogar spezielle Eissorten für den Winter mit Zimt- oder Apfelstrudelgeschmack.

Eis ist in jedem Fall ein sozialer Faktor: Schließlich geht man meist in Begleitung Eis essen und probiert auch gerne mal unverfroren die Kugeln der BegleiterInnen – übrigens auch eine empfehlenswerte Taktik, um sich menschlich näher zu kommen. Diesen Genuß ohne soziale Grenzen verdanken wir dem Kühlschrank – denn jahrhundertelang war Eis ein absolutes Luxusgut: Nur die Reichsten konnten früher die erfinderischen Wege zum eiskalten Genuß finanzieren. Da wurden Schnee und Gletschereis aus dem Gebirge herangeschafft – im alten Griechenland kam die kühle „Götterspeise“ sogar direkt vom Olymp – und dann in extra angelegten Eiskellern oder holzvertäfelten Erdgruben gelagert. Vielleicht ist es ja dieser exklusive Beigeschmack, der dazu beiträgt, daß Eiscreme nach wie vor eine der beliebtesten Süßspeisen ist.

Einschlägige Frauenzeitschriften vermuten allerdings in schöner Einmütigkeit jeden Sommer wieder, daß das vielmehr an der besonderen erotischen Komponente des Eisleckens liege. Eine Vermutung, die zumindest an anderen Stellen des Globus durchaus ernstgenommen wird: So berichtete ein befreundeter Japanreisender von einem Verkehrsunfall – zwei Frauen kollidierten mit ihren Fahrrädern –, der sich ereignete, als er eisleckenderweise die Straße querte. In Japan, so erfuhr er erst nach dem Zwischenfall, ist der Anblick eisleckender Männer offensichtlich verpönt.