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Ja, okay, er ist der Größte

Der sechsmalige Wimbledonsieger Pete Sampras kann auf Wasser wandeln. Das glaubt Finalverlierer Andre Agassi. Sampras sagt es so: „Besser geht's nicht.“  ■   Von Matti Lieske

Wimbledon (taz) – Die Antwort fiel Andre Agassi sichtlich schwer. Der 29jährige aus Las Vegas machte ein Gesicht, als habe er in eine Wimbledon-Erdbeere gebissen, legte die hohe Stirn in leichte Knitterfalten, seufzte tief auf und gab dann zu: Ja, okay, Pete Sampras sei der größte Tennisspieler aller Zeiten. „Er dominiert auf Gras, er hat das Jahr sechsmal als Nummer eins beendet, seine Erfolge sprechen für sich.“

Kein leichtes Eingeständnis für einen, der eigentlich alle Voraussetzungen besessen hat, sich selbst den Titel des Größten aller Großen zu sichern. Doch während Agassi „die Unzuverlässigkeit eines englischen Wettervorhersagers“ (The Independent) aufweist, ist Sampras so verläßlich wie Big Ben. Wenn seine Zeit gekommen ist, tut er, was getan werden muß, und das ist in seinem Fall vor allem, „unfehlbares Tennis“ (Agassi) zu spielen. So wie beim sonntäglichen 6:3, 6:4, 7:5-Finalsieg in Wimbledon.

Das war nicht immer so. Bei seinen ersten Auftritten in London von 1989 bis 1991 gewann Sampras genau ein Match, und gern erinnert sich Agassi noch an die erste Begegnung der beiden auf der Profitour, 1989 in Rom: „6:1, 6:1. Er konnte keinen Ball ins Feld spielen. Ich dachte, er ist eine Niete.“

„Das war ich“, räumt der inzwischen 27jährige Sampras ein. Er sei zu dieser Zeit gerade dabei gewesen, in seinem Tennisspiel „die Enden zusammenzubringen“, während Agassi schon absolute Weltspitze war. Die Enden fanden sehr schnell zusammen, vor allem in Wimbledon.Von den letzten 53 Matches dort hat er 51 gewonnen, nur Ivanisevic (1992) und Krajicek (1996) konnten ihn bezwingen. Seit Sonntag hat er sechs Wimbledon-Titel, ähnliches hat nur William Renshaw geschafft, der in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts sieben Mal siegte. Zwölf Grand-Slam-Turniere hat Sampras gewonnen und damit den Rekord von Roy Emerson eingestellt, dessen Überbietung das nächste Ziel seiner Karriere sein wird. „Im Moment denke ich nicht daran“, sagte er, „aber wenn die US Open kommen, werde ich es liebend gern tun.“

Seit es Pete Sampras im letzten Jahr mit einem gewaltigen Kraftakt gelang, als erster Spieler zum sechsten Mal hintereinander am Jahresende die Nummer eins zu werden, geht er wesentlich entspannter an seinen Beruf heran. Die Weltrangliste ist ihm nicht mehr so wichtig. Lieber spielt er etwas weniger und tut jene Dinge, die ihm Spaß machen: sich auf die „Majors“ konzentrieren und in zehn Tagen beim Viertelfinale in Boston gegen Australien wieder im Davis-Cup-Team mitwirken.

Die neue Nummer eins der Weltrangliste ist seit gestern Andre Agassi. Dessen Rivalität mit Sampras hat in den letzten zehn Jahren das Welttennis geprägt; sofern Agassi nicht gerade in eine seiner Versenkungen abgestürzt war. „Es ist einfach ein großartiges Match-up“, sagt Sampras, „völlig verschiedene Persönlichkeiten, völlig verschiedene Stile.“ In jedem Fall aber hervorragendes Tennis. So auch am Sonntag.

„Heute war ich nicht die Nummer eins“, mußte Agassi einräumen, wußte aber nicht, was er sich eigentlich vorwerfen sollte. Beide Kontrahenten sprachen davon, ihr großartigstes Tennis seit Jahren gespielt zu haben. Auf Rasen bedeutet das laut Agassi, daß er vielleicht zwei von zehn Matches gewinnen kann. „Man muß seinen Sturm überstehen, dann ist er verwundbar“, sagte der French-Open-Sieger, „aber sein Sturm war heute zu stark.“ Bei den wenigen Punkten, in der Regel Breakpoints, die ein großes Match in Wimbledon entscheiden, war stets Sampras der Sieger, selbst seinen zweiten Aufschlag brachte er härter ins Feld als die meisten anderen Spieler ihren ersten.

„Er riskiert alles da draußen, und die Leute denken, er kann auf Wasser wandeln“, analysierte der erklärte Bibelfreund Agassi. „Bis er ein paar Mal verschlägt. Das hat er heute nicht getan. Also wandelte er auf Wasser.“ Sampras sah das ähnlich, allerdings etwas weniger metaphorisch: „Klar und simpel: Besser kann ich nicht spielen.“

Andre Agassi kann es kaum erwarten, bis er seinen wasserdichten Landsmann wieder vor den Schläger bekommt, am besten „im Finale der US Open“. Sampras allerdings hält eine dauerhafte Rivalität zweier Spieler heute nicht mehr für möglich, da das Niveau immens gestiegen sei. „McEnroe und Borg waren damals viel besser als alle anderen, heute gibt es so viele gefährliche Spieler.“

Nicht für ihn, nicht in Wimbledon. Der beste Agassi, den es je gab, war hier ebenso ohne Chance wie Englands Stolz Tim Henman, der von Sampras „glatt weggeblasen“ wurde, wie The Observer nach dem Halbfinale befand.

Wenig Trost hat Pete Sampras seinen Konkurrenten für die Zukunft zu bieten: „Wimbledon ist ein Turnier, von dem ich sicher bin, daß ich es auch mit 32 noch gewinnen kann.“ Das wären dann elf Titel auf der Anlage des All England Lawn Tennis & Croquet Club. Um der größte Wimbledon-Champion aller Zeiten zu werden, müßte der rekordversessene Kalifornier allerdings noch ein Weilchen länger spielen. Diesen Rang hat ein gewisser Professor Bernard Neal inne, der seit 1963 stolze 34 Wimbledonsiege holte – im Croquet.

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