: Das Stück BWL, das in jedem steckt
Willkommen im Club der flexibel vernetzten Kulturschaffenden: Gedacht als Bestandsaufnahme der aktuellen Berliner Kulturszene, liest sich das Büchlein „Berlin.Now“ wie ein großer, bunter Flyer ■ Von Jenni Zylka
Woran erkennt man eigentlich junge Kultur? Am Thema, an einer trendigen Corporate Identity, daran, daß meist irgendwo ein „Event“ mit DJ stattfindet? Oder etwa an aufblitzenden Zahnspangen? Jedenfalls hat es wenig mit Charts-Pop zu tun, wenn man den drei BerlinerInnen Glauben schenkt, die „Berlin. Now.“ herausgebracht haben.
Das Buch im hübschen Streifen-Layout verspricht unter dem Titel „50 Projekte Junger Kultur“ eine Bestandsaufnahme der aktuellen Berliner Kulturszene zehn Jahre nach Mauerfall. Die Auswahl sei nach unterschiedlichen Kriterien erfolgt, erklärt Elisabeth Breitkopf, eine der Autorinnen: Sowohl sogenannte „Leuchttürme“, Kulturprojekte, die über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt seien, wie die Love Parade und die berlin biennale, als auch unbekanntere Ideen, die man früher vielleicht mit dem Begriff „Off-Kultur“ bezeichnet hätte, fanden Aufnahme in den Kulturkatalog. „Wir haben viel herumgefragt: Wen und was könntest du dir in einem solchen Buch vorstellen? Da fielen immer wieder dieselben Namen ...“ Die Projekte stammen aus den Bereichen darstellende Kunst, Medien wie Filmproduktionen und Zeitungen bzw. Magazine, Mode, Musik, Agenturen für das alles, und natürlich Clubs und Nachtleben.
Gemeinsamkeiten werden von den Herausgeberinnen in einem Vorwort mit dem sinnigen Titel „Willkommen im Club“ vorsichtig umschrieben. Von Freiräumen, die Berlin vor allem im Ostteil der Stadt zu bieten hat und die nach dem Mauerfall von den jungen Wilden besetzt und genutzt wurden, ist die Rede, von Flexibilität, was heißen soll, daß die MacherInnen schnell und unkonventionell auf die sich abzeichnenden Trends und Ideen reagieren, und vor allem von Crossover und Vernetzung. „Networking“ muß man das wohl nennen in der Globalsprache Englisch, in der alle Texte zusätzlich abgefaßt sind. Zusammen mit Internet und Patchwork-Biographie scheint dieses Wort die kulturellen Darstellungsformen des ausgehenden Jahrtausend zu regieren und zu definieren. Die Herausgeberinnen erklären dazu bei der „Book Release Party“ im, raten Sie mal, Maria am Ostbahnhof: Die Akteure der besprochenen Projekte haben bunt zusammengewürfelte Lebensläufe. Clubs beziehungsweise „Locations“, in denen die „Events“ stattfinden, werden nicht mehr von gelernten Gastronomen eröffnet, sondern von ehemaligen Deutschstudierenden und MediendesignerInnen, und diese haben dann ein bestimmtes Konzept für ihren Club. Galerien machen nicht mehr nur KunsthistorikerInnen, sondern schlicht Kunstinteressierte. Und: Man braucht sich nicht jemanden für den PR-Kram und die geschäftliche Seite zu suchen, sondern entdeckt gerne das Stückchen BWL, das in jedem steckt. Damit wenden sich die jungen Kulturschaffenden (und hiermit ist nicht das biologische Alter gemeint) mehr oder weniger bewußt von einer Off-Kultur ab, die man vor zehn Jahren hauptsächlich dadurch charakterisieren konnte, daß sie alles andere als erfolgreich, professionell und damit verpönter Kommerz sein wollte.
Der Effekt dieser Marktorientiertheit, die sich auch durch den völlig selbstverständlichen Umgang mit Sponsoring zeigt: Alles, angefangen von Ankündigungsflyern bis hin zu Plattencovern, sieht irgendwie besser aus, aber trotz der ganzen Konzepte schleichen sich doch genauso Langeweile und ein Austauscheffekt ein. Schon wieder eine Veranstaltung mit Aktionskunst und Videoinstallation, schon wieder eine Ausstellung, bei der ein DJ Elektronik auflegt. Die Sammlung im Buchformat liest sich passenderweise wie ein großer, bunter Flyer: zum Beispiel die Magazine Shift! und DE:BUG, die Musik-Labels Bungalow und Kitty-Yo, die Clubs Maria und Tresor, und die Modedesigner von trippen präsentieren selbstbewußt in kurzen, gefälligen Texten ihre Projekte, neben etwas etablierteren Kulturschaffenden wie der Schaubühne am Lehniner Platz oder dem Film-Label Studio Babelsberg Independents.
Und wer soll sich über diese ganzen mehr oder minder kreativen Köpfe informieren? Denn die Szene selbst nutzt schon längst ein funktionierendes Netzwerk aus Stadtmagazinen, Flyern und Mundpropaganda. Aber Investoren, Neu-Berlinern oder Gästen kann man das Buch ohne Weiteres schenken. Falls die dann wirklich auftauchen und mitmachen wollen, findet sich zur Not bestimmt irgendwo eine geheime Montags-Dienstags-Mittwochs-Bar, von der noch keiner etwas weiß. „Berlin.Now“ gibt es in jedem Buchladen und kostet 28 Mark
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