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„Kaufe selten Soundtracks“

■  Wie frustrierend ist es, als Filmmusiker bekannter denn als Komponist zu sein? Michael Nyman über die Herausforderung Hollywood und die vernachlässigte Kritik der Filmmusik

Klassisch geprägte Komponisten schaffen in aller Regel nicht den Sprung in die Charts, schon gar nicht mit einem Soundtrack-Album. Michael Nyman gelang dieses Kunststück 1992, als er „Das Piano“ von Jane Campion vertonte. Cineasten war er zu jener Zeit bereits vertraut als derjenige, der den Filmen von Peter Greenaway ihren unverwechselbaren Klangteppich unterlegte.

Weit weniger bekannt sind die nicht filmischen Werke des Komponisten Nyman, darunter vier Streichquartette, ein Cembalokonzert sowie verschiedene Auftragsarbeiten wie die Musique à Grande Vitesse anläßlich der Eröffnung einer TGV-Verbindung zwischen Paris und Lille. Derzeit arbeitet Nyman an seiner dritten Oper, „Facing Goya“. Zuletzt saß der 55jährige Brite außerdem in der Jury der Internationalen Filmmusik-Biennale, die Mitte Juni in Bonn stattfand. Sie gibt es seit 1995, um der wachsenden Bedeutung der Musik und des Sounddesigns in den audiovisuellen Medien Rechnung zu tragen. In einer Deutschlandpremiere war dort auch der Film „Ravenous“ von Antonia Bird zu sehen, den Nyman in Zusammenarbeit mit Damon Albarn von Blur vertont hat.

taz: Mr. Nyman, was ist gute Filmmusik?

Michael Nyman: Aus meiner Sicht als Komponist ist die Filmmusik gut, die dem Film assistiert und vielfältige Aufgaben darin erfüllt: strukturell, emotional, charakterisierend. Aber sie sollte auch ein eigenes Leben außerhalb des Films haben. Das mag widersprüchlich klingen, weil in Holllywood die Haltung vorherrscht, daß derjenige Score der beste ist, den man nicht wahrnimmt, der unterschwellig arbeitet, bis man gar nicht mehr mitbekommt, was da passiert. Dies ist gleichbedeutend mit Hintergrundmusik.

Meine Haltung ist das Gegenteil davon. Ich möchte Filmmusik schaffen, die in die Köpfe geht, die mit dem Film streitet und manchmal so verschieden von ihm ist, daß man denkt: „Großartiger Score, aber ein furchtbarer Film.“ Die Musik sollte nicht nur illustrativ wirken, sie ist ein komplett anderes Universum. Es ist, als würde der Film von einem Alien von einem anderen Planeten besucht. Diese Autonomie sollte man fördern. Statt dessen entmutigt Hollywood jeden, der nach Eigenständigkeit strebt.

Das klingt sehr frustierend, in so einer Situation als Filmmusiker bekannter zu sein denn als Komponist.

Es ist frustrierend, weil ich nicht der Herr meines eigenen Werkes bin. Das aktuelle Beispiel dafür ist „Ravenous“ von Antonia Bird: Aus dem Anfangsthema, das eine Orchesterversion ist, habe ich später, wenn die Soldaten in all diesem Blut der Schlacht sitzen und Steaks aus Menschenfleisch essen, eine kleine Banjoversion gemacht – eine britische Art von Ironie, die auch etwas über die Charaktere im Film aussagt. Als ich später den Film sah, war die Banjoversion verschwunden. Ich habe hier mit dem Inhalt gearbeitet und versucht, einen Kommentar abzugeben. Aber das war offenbar nicht erlaubt. Obwohl ich nur die Orchestrierung gändert habe. Das ist ein Beispiel dafür, wie schmerzhaft die Arbeit sein kann. Und ich habe keine Macht zu sagen: Nein, dies hier muß jetzt so oder so sein.

Bedauern Sie es manchmal, Filmmusiken zu schreiben?

Nein. Warum reden wir jetzt hier? Weil ich ein Filmmusiker bin, nicht weil ich Opern komponiere oder Streichquartette. Ohne die Filme wäre ich nur ein weiterer Konzertkomponist, der zehn-, fünfzehnmal im Jahr gespielt wird – wenn ich Glück hätte. Insofern ist es gut so. Es muß sich nur die Waage halten. Wenn ein Komponist im wirklichen Leben und von Freunden so zurückgewiesen würde wie von Regisseuren oder den Leitern von Filmstudios, könnte er Selbstmord begehen.

Ist Filmmusik zu schreiben dann noch eine künstlerische Herausforderung oder einfach die Arbeit eines Komponisten?

Für mich ist es eine künstlerische Herausforderung. Ich habe den Wunsch, meine Musik zu schreiben, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Mein geheimer Wunsch ist es außerdem, in einen Hollywood-Genrefilm mit einer ganz persönlichen Musik einzudringen. Ich möchte die Leute von meiner Arbeit überzeugen und ihr Spiel nach meinen Regeln spielen. Aber je mehr man kämpft, um so weniger Leute nehmen die Herausforderung an. Und ich weiß, wenn ich ein anderer wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht 15 Soundtracks bisher geschrieben, sondern bereits 150. Da ist so etwas Schweres in meiner Musik, da fehlt die Leichtigkeit – in filmischen Kategorien gedacht.

Gibt es den speziellen „Nyman-Score“ in Ihrem Kopf?

Den gibt es, aber der paßt natürlich nicht zu jedem Film. Als Jane Campion mich fragte, ob ich die Musik zu „Das Piano“ schreiben wolle, verblüffte sie mich mit der Aussage, ich sei der einzige in der Welt, der dies machen könne. Ich fragte, warum, und sie antwortete, weil ich sehr gut darin sei, eine introvertierte Welt zu erschaffen. Fein, sagte ich, und daß ich ihr eine solche Nyman-Musik schreiben würde. Aber ich will keine Peter-Greenaway-Musik, fügte sie dann hinzu.

Auf der einen Seite hat sie also die Stärke der Musik erkannt, die ich für Peter Greenaway gemacht habe; aber sie wußte auch, daß die so nicht passen würde. Interessant für mich ist, daß die Greenaway-Musik keine Greenaway-Musik ist, sondern die reinste Nyman-Musik, die ich je fürs Kino geschrieben habe. Bei allen Sachen, die ich danach geschrieben habe, mußte ich mich stärker an den jeweiligen Charakter anpassen. Bei der Arbeit für Patrice Leconte war das so, bei „Das Piano“ oder auch bei „Gatacca“. Der einzige Film, bei dem ich freier und spontaner arbeiten konnte, war „Der Unhold“. Volker Schlöndorff hat mich dazu ermutigt.

Filmmusik erscheint heute oft schon vor dem Film. Zerren ökonomische Zwänge ähnlich wie die Regisseure an Ihnen?

Soundtrack-Alben sind plötzlich für die Plattenindustrie wichtiger geworden als für die Filmindustrie, und manche Soundtracks werden nur gemacht, um Soundtrack-Alben herauszubringen, insbesondere die Rock-Compilations. Das ist eine rein kommerzielle Sache. Ich hab darüber nie groß nachgedacht. Als ich die Musik zum „Kontrakt des Zeichners“ gemacht habe – das war 1982/83 –, habe ich das als mein neues Album herausgebracht. Ich war ein Komponist, und das war einfach mein nächstes Werk.

Andererseits stellen Soundtracks ja auch eine effektive Werbung für den Komponisten dar. Millionen Menschen hören die Musik von „Das Piano“ und wollen, daß sie ein Teil ihres Alltags außerhalb des Kinos wird. Ich hab' das allerdings selten und kaufe nur sehr selten Soundtracks.

Filmmusik gilt als vernachlässigte Kunst. Fühlen Sie sich vernachlässsigt von der Art, wie darüber berichtet wird?

Ich habe ja selbst Kritiken geschrieben und glaube eher, daß die Filmmusikkritik eine vernachlässigte Kunst ist. Als Komponist bin ich neugierig, etwas über die Wirkungen und Verantwortung dessen zu lernen, was ich gemacht habe. Aber man liest so selten was über die Wirkung, die ein Soundtrack auf einen Film hat. Und ich habe bisher noch nichts über meine Ausgangsüberlegung gelesen, daß Musik von der Aussage des ganzen Films so komplett getrennt funktioniert.

Zwischen Ihrer Musik und der von „Samurai Fiction“ oder „Lola rennt“ liegen klanglich Welten. Nervt Sie so etwas?

Wenn ich etwas Originelles, Individuelles höre, nervt mich bestenfalls, daß es nicht meins ist. Oder ich bin glücklich darüber, daß es noch jemanden gibt, der nicht Teil des Systems ist und den einfachen Weg geht. Bei „Fargo“ war das so oder bei Hans Zimmer, der die Musik zu „Der schmale Grat“ gemacht hat. Manchmal wäre ich allerdings glücklich, wenn ich mich hinsetzen und einen Popsong schreiben könnte oder irgend etwas anderes Passendes. Aber immer wenn ich das versuche, geht's daneben. Interview: Thomas Machoczek

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