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Das Netz soll amerikanisch bleiben

■  Die von der Regierung Bill Clinton eingesetzte „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ wird vom nächsten Jahr an zwar nur die Vergabe von Internetadressen regeln. Aber ihre Macht reicht damit viel weiter

Wer regiert das Internet? Niemand könne es und werde es je regieren, da es keinen zentralen Steuerungspunkt in der Architektur des Cyberspace gebe, von dem die Benutzer des Internets kontrolliert werden könnten, so lautet bis heute die Standardantwort seiner Propheten. Der Wirklichkeit entspricht sie schon lange nicht mehr. Große Konzerne definieren mit ihrer Marktmacht technische Standards und zunehmend auch die Zugangsbedingungen zum Netz. Doch auch diese Antwort wird schon bald nicht mehr ausreichend sein. Auch die Anarchie des Marktes soll Grenzen haben, so entschied die amerikanische Regierung im vergangenen Herbst. Sie hat ein selbständiges, nichtkommerzielles Gremium ins Leben gerufen, das nicht weniger als die oberste und globale Regulierungsorganisation des Internets sein soll.

Die Organisation heißt „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“, abgekürzt ICANN, und hat inzwischen ihre Arbeit aufgenommen (www.icann .org/). Unter dem Vorsitz von Esther Dyson, Unternehmerin und als Mitglied der „Electronic Frontier Foundation“ Internetpionierin der ersten Stunde, bereitet sie sich auf eine Aufgabe vor, die weit über die bloße Vergabe von Webadressen hinausgeht. ICANN sei nichts weniger als „die verfassunggebende Versammlung des Internets“, schrieb die New York Times. Nur auf den ersten Blick sieht ICANN aus wie eine der vielen Ingenieursvereinigungen, die bloß technische Vorgänge im Netz regeln und koordinieren. „Wir sind Zeugen bei der Geburt einer Internetregierung“, meinen alle namhaften Beobachter des virtuellen Raums. Denn: „Nicht traditionelle Gesetze werden das Netz regieren, sondern technische Standards“, behauptet Lawrence Lessig, Professor für Recht an der Harvard University und Leiter des Berkmann Center for Internet and Society.

ICANN soll eines der wichtigsten Rechtsgüter der Zukunft verteilen: Die Internetadresse. Allein deswegen schon befürchten Kritiker, wie der amerikanische Rechtswissenschaftler David Post, die Entstehung einer zentralen Regierung für das Netz, die ihre Macht mißbrauchen könnte. Denn das neugeschaffene Selbstverwaltungsorgan des Internets soll nicht nur die Vergabe der Internetadressen regeln, sondern auch die für die Kommunikation im Netz lebenswichtigste technische Infrastruktur kontrollieren.

Ab September 2000 wird ICANN das sogenannte DNS-System der Domain-Namen koordinieren, die Vergabe der IP-Adressen neu regeln, neue Standards für Internetprotokolle entwickeln und das Root-Server-System im Netz organisieren: Alles Aufgaben, die bislang unter Aufsicht der US-Regierung von der Internet Assigned Numbering Authority (IANA), einer Gruppe von Computerfachleuten an der University of Southern California, wahrgenommen wurden.

Solange das Netz noch in seinen Kinderschuhen steckte, schien diese Organisationsstruktur niemanden zu stören. Doch als das Internet Anfang der 90er Jahre exponentiell zu wachsen anfing und seitdem immer mehr Menschen die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Netzes der Netze realisieren, geriet das Kontrollmonopol der US-Regierung immer stärker unter Druck.

Die Organisationsstruktur des Netzes mußte den neuen Gegebenheiten angepaßt werden. Besonders der Exklusivvertrag der Firma Network Solutions mit der US-Regierung über die Vergabe der sogenannten top-level-domains – wie .org, .com oder .net – geriet international ins Kreuzfeuer der Kritik. Die top-level-domains bilden die oberste Hierarchieebene im Namenssystem des Netzes. Gerade die wichtigsten Netznamen, deren Adressen auf „.com“ enden, wurden im kommerziellen Boom besonders knapp. Adressenpiraterie, langwierige und teure Gerichtsverfahren wegen Namensstreitigkeiten sind bis heute die Folge.

Diese zunächst eher technisch erscheinenden Probleme werfen eine ganze Reihe politischer Fragen auf. Wer hat Zugang zum Internet? Wer kontrolliert den Cyberspace? Sie stellen sich nicht weniger für die neue Kontrollinstanz: Wer kontrolliert ICANN? Und welche demokratische Legitimation hat diese Netzregierung?

Die Einwände liegen auf der Hand: Allein die amerikanische Eliteuniversität Stanford verfügt über mehr IP-Adressen als ganz China. Wer die Kontrolle darüber hat, kontrolliert auch, was Menschen im Netz machen und wer Zugang zu ihm hat. Denn in den Root-Servern sind die Informationen gespeichert, die zu jeder IP-Adresse auf der Erde, also zu jedem Internetbenutzer, führen. ICANN wacht damit über die Grundlage der gesamten virtuellen Gesellschaft und könnte an die Vergabe und Benutzung einer IP-Adresse Bedingungen knüpfen: Wer eine Adresse will, um im Internet zu surfen, zu arbeiten oder sich zu informieren, muß seine Identität offenlegen. Wenn er gegen die Regeln verstößt, wird die Adresse gesperrt oder gelöscht – und damit seine Existenz im Netz. David Post sieht darin das elektronische Äquivalent zur Todesstrafe in der realen Welt.

Zwar versichert Esther Dyson immer wieder: „Wir unterliegen nicht der Kontrolle durch eine Regierung, und wir wollen auch keine sein.“ Nicht zu übersehen ist dennoch, daß bei der Entstehung der ICANN die US-Regierung einsam und allein die entscheidende Rolle gespielt hat. Unisono hatten große Teile der Netzgemeinde, die Europäischen Union, die International Telecommunications Union (ITU) und die World Intellectual Property Organization (WIPO) vorgeschlagen, der ITU die Kontrolle über die Namensvergabe und technisches Management des Internets zu übertragen. Aber die amerikanische Regierung, die das Netz einst für ihre militärischen Zwecke aufgebaut hatte, setzte sich über alle Proteste hinweg. Nach dem Willen der Clinton-Administration soll allein ICANN das Management des Internets übernehmen. Bezeichnenderweise wurde die global operierende Selbstverwaltungsorganisation als amerikanisches Unternehmen mit Sitz in Kalifornien gegründet und unterliegt damit auch kalifornischem Recht.

Kritiker sehen sich schon bei den ersten Entscheidungen der Netzregierung bestätigt. ICANN wird die wichtigste Internetdatenbank kontrollieren, die heute noch von der Firma Network Solutions verwaltet wird. Sie enthält Millionen von personenbezogenen Kontaktinformationen der Besitzer von Domain-Namen. Lobbyisten der IT-Industrie haben sich dafür eingesetzt, neue Standards einzuführen, um die eindeutige Identifikation der Namensbesitzer zu ermöglichen. ICANN hat deshalb beschlossen, daß alle Firmen, bei denen man Domain-Namen registrieren kann, „akkurate und zuverlässige Kontaktdetails“ sammeln und verfügbar machen müssen. So wird der Grundstein zu rechtlichen Kontrollmöglichkeiten im Netz gelegt, denn nur die positive Identifikation von Internetbenutzern bildet die Grundlage für die effektive Umsetzung von Recht und Gesetz im Internet.

Ein anderes Beispiel ist der Wunsch, die Netzarchitektur so umzubauen, daß Besteuerung via Internet möglich ist. So warnt unter anderem die OECD in Paris davor, daß Nationalstaaten Systeme über das Adreßsystem des Netzes (DNS) implementieren wollen, die die Erhebung von Steuern technisch effektiv machen. ICANN hat beschlossen, daß für jeden neuen Internetnamen einen Dollar an die Organisation gezahlt werden muß. David Post fragt deshalb bissig, ob damit nicht das demokratische Prinzip „Keine Steuer ohne Vertretung“ verletzt sei.

Christian Ahlert

Christian.Ahlert@sowi.uni- giessen.de

Weitere Informationen im Internet: Internet: www.oecd.org/dsti/sti/it/ index.htm ; www.iana.org/index2.html ; cyber.law.harvard .edu

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