: Die Telefone stehen nicht still: Europa klagt über Bangemann
■ Die Mitgliedsländer der EU wollen den Industriekommissar wegen seines Wechsels in die Telefonbranche vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Grüner Abgeordneter Cohn-Bendit nennt Bangemann einen „faulen Sack“
Bonn (taz) – Wegen seines Wechsels zum spanischen Telefonkonzern Telefónica wollen mehrere Mitglieder des Ministerrates der Europäischen Union den beurlaubten EU-Kommissar Martin Bangemann vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Nach Auskunft von Regierungssprecher Heye will sich auch die Bundesregierung einer Klage gegen Bangemann anschließen. Ob die nötige einfache Mehrheit im Rat zustande kommen wird, stand bei Redaktionsschluß allerdings noch nicht fest.
Die EU-Botschafter berieten am Mittwoch in Brüssel über ihr weiteres Vorgehen. Sollte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Bangemann verurteilen, weil er gegen Artikel 213 des Amsterdamer Vertrages verstoßen hat, können seine Pensionsansprüche aus der Tätigkeit als EU-Kommissar gekürzt oder aberkannt werden.
Der entsprechende Passus im Amsterdamer Vertrag, der wörtlich aus dem EG-Vertrag von 1965 übernommen ist, lautet: „Die Mitglieder der Kommission [...] übernehmen die feierliche Verpflichtung, [...] bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile nach Ablauf dieser Tätigkeit ehrenhaft und zurückhaltend zu sein.“ Ansprüche auf Übergangsgeld sind bereits dadurch verwirkt, daß Bangemanns neues Gehalt sein Einkommen bei der EU-Kommission übersteigt. Angeblich soll er bei Telefonica zwei Millionen Mark pro Jahr erhalten.
Der Bonner Europarechtsexperte und ehemalige EuGH-Richter Ulrich Everling sieht in Bangemanns Verhalten einen empörenden Verstoß gegen diese Vorschrift. Er selbst sei 1988 aus dem Richteramt geschieden und habe drei Jahre lang auf jede juristische Betätigung verzichtet. „Auch Richter sagen ja oft, sie seien nicht befangen. Es kommt aber auch auf den Eindruck an, der in der Öffentlichkeit entsteht. Für den Ruf der Kommission als Ganzes ist Bangemanns Verhalten fatal.“ Bangemanns Rechtfertigung in der spanischen Zeitung El Mundo, als Industriekommissar könne ihm ja nicht jede Betätigung in der Wirtschaft verboten werden, findet Everling abwegig. Schließlich habe Bangemann maßgeblich an der Privatisierung des Telekommunikationsmarktes mitgewirkt. Deshalb sei sein Arbeitsvertrag mit Telefónica problematischer als ein anderes Engagement in der Industrie.
Der ehemalige Rechtsberater und Lehrstuhlinhaber für europäisches Recht an der Universität Lausanne, Roland Bieber, weist dagegen darauf hin, daß die Diskussion um die Rolle der Kommissare in der Öffentlichkeit heuchlerisch geführt wird. Wesentlich bedenklicher als Bangemanns Verhalten sei der Versuch einzelner Regierungen, auf den Zuschnitt der Ressorts oder die Arbeit der einzelnen Kommissare Einfluß zu nehmen. Bereits jetzt wieder versuchten einzelne Staaten, auf die zukünftige Kommission von Romano Prodi Einfluß zu nehmen. „Die Mitgliedstaaten haben es selbst zugelassen, daß die Sitten verwildert sind.“
Bangemann selbst hatte sich im Interview mit der spanischen Zeitung El Mundo damit gerechtfertigt, daß er seinen Schritt offen getan habe. Er glaube, „aufrichtiger gewesen zu sein“ als manch einer seiner Kollegen. Auch in der Vergangenheit seien Kommissare nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission in die Wirtschaft gewechselt. Das sei aber von der Öffentlichkeit nicht beachtet worden.
Tatsächlich haben zahlreiche Kommissare später in der Industrie gearbeitet. So heuerte der ehemalige Kommissionspräsident Ortoli bei einem französischen Unternehmen an. Der holländische Agrarkommissar Lardinois wechselte zu einer holländischen Bank.
Die grüne Kommissionskandidatin Michaele Schreyer sagte während eines Aufenthalts in Brüssel zum Fall Bangemann, sie sei erstaunt, „was man noch draufsatteln kann, nachdem die letzte Kommission wegen vieler Probleme abtreten mußte“. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit nannte das Verhalten des FDP-Politikers einen Skandal. „Daß Bangemann ein fauler Sack war, war allerdings jedem bekannt“, fügte er hinzu. Daniela Weingärtner
Interview Seite 5
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