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Mit und ohne Inhalt

■ Der „Club der lebenden Dichter“ reimt seit einem Jahr vor sich hin / JedeR kann mitdichten Von Patricia Faller

„Streß bei der Arbeit, die Nachbarin macht dich an, weil die Musik zu laut ist, und dann klingelt irgendein Fremder, der dir 'was völlig Überflüssiges andrehen will“: An solchen Tagen „muß“ Rainer Krusch einfach schreiben. Dann entsteht zum Beispiel „Ein Gedicht ohne Inhalt“. Kostprobe gefällig?

„... Es beschreibt exklusiv das Liebesleben von 2 befreundeten Müllbeuteln, die Krankheitsgeschichte meiner Klospülung und die Gedankengänge einer Glühlampe, die den Strom aus einem Atomkraftwerk aus moralischen Gründen verweigerte...“.

Anfangs schrieb der 27jährige Groß- und Außenhandelskaufmann seine Gedichte nur für sich und für Freunde, die sie hören wollten oder auch nicht. Bis seine Gedankenergüsse aus dem stillen Kämmerlein hinausdrängten und er antreten wollte wider den Kulturkommerz. Er gründete den „Club der lebenden Dichter“: Lyrik- und Prosa-fabrizierende StudentInnen, Zivis, LehrerInnen, KünstlerInnen oder Kaufleute kommen dort seit einem Jahr zusammen.

Die schillerndste Figur: der malende und dichtende Puppenspieler und Radiomacher Raimund Samson. Dem 43jährigen kam die Club-Idee sehr gelegen. „Es gibt viel zu wenig produktive Feindschaften“, sagt er. Im Club könne man sich aneinander reiben, ohne sich durch Kritik gleich zu vernichten.

Samson und Krusch sind der harte Kern und die Antriebskräfte, während die übrigen Schreiber kommen und gehen. Wenn sie nicht gerade dichten und denken, organisieren sie Lesungen mit fremden Autoren, Lesungen für die Mitglieder oder offene Abende, an denen vom freien Künstler bis zur engagierten Hausfrau jedeR lesen darf.

Es gibt sie noch, die Menschen, die zuhören wollen, stellten sie dabei fest, auch in Zeiten von TV und Internet. In romantischem Ambiente mit Kerzenlicht und spontanen Musikeinlagen werden Gedichte wie dieses von Raimund Samson gelesen: „... Ich werde vorerst tapfer an allen Kot- und Kotzhaufen und Pißnelken und bösen Gesichtern vorbeistapfen und erst dann Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn Sozialarbeiter/innen Gasmasken an die Passanten verteilen ...“

Nächstes „Literarisches Treffen“, 21. Dezember, Kulturladen Sankt Georg, Lange Reihe 111. Infos R. Krusch, Tel. 792  94  08.

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