„Die PKK hat kein Feindbild mehr“

■  Ernst Uhrlau, Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, sieht die PKK nach Öcalans Friedensangebot an den türkischen Staat in einer Krise. Solange ihre Symbolfigur am Leben ist, wird sich die Kurdische Arbeiterpartei nicht spalten

taz: Abdullah Öcalan, Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), ruft seine Anhänger zur Beendigung des bewaffneten Kampfes auf. Die ERNK, der politische Flügel der PKK, unterstützt diese Strategie. Der bewaffnete Arm der PKK, die Volksarmee zur Befreiung Kurdistans (ARGK), hat sich dagegen zu den blutigen Anschlägen der letzten Tage in der Türkei bekannt. Sind das die ersten Anzeichen für eine Spaltung der PKK?

Ernst Uhrlau: Die offizielle Linie des Präsidialrates der PKK zielt bislang auf einen politischen Weg ab. Genauso wie Öcalan erklärte er nach den Anschlägen, diese seien kontraproduktiv, bezogen auf die politischen Absichten des PKK-Chefs. Militärisch kann die PKK nicht siegen. Die PKK fährt seit geraumer Zeit ihre Doppelstrategie: Politisch und gewaltfrei in Westeuropa – militärisch oder terroristisch in der Türkei. Solange die Entscheidung über eine Vollstreckung des Todesurteils offen ist, wird es keine Spaltung geben.

Welche Strategie verfolgt die PKK nach Ihren Erkenntnissen in Westeuropa und in Deutschland?

Nach Verhängung des Todesurteils gegen Öcalan verfolgt die PKK in Westeuropa demonstrativ den politischen Weg. Sie versucht politische Einflußnahmen auf Parteien, Regierungen, Medien auszuüben, damit sich Westeuropa dafür einsetzt, daß die Türkei die Todesstrafe nicht vollstreckt und Raum für politische Lösungen geschaffen wird.

Ausgenommen von der neuen Friedfertigkeit in Deutschland bleiben türkische Einrichtungen, Reisebüros und Vereine.

Anders als nach der Verschleppung Öcalans im Februar gab es nach dem Todesurteil keine Besetzungen und Ausschreitungen, sondern friedliche Demonstrationen. Aber es gab eben in den ersten Tagen etwa 40 Brandanschläge ...

... mit denen die PKK-Führung angeblich nichts zu tun hat. Statt dessen sollen sie auf das Konto erhitzter, emotionalisierter junger Menschen gehen. Ist das denn glaubwürdig?

Für den Präsidialrat der PKK kann man das aus genannten Gründen durchaus so sehen. Aber in den letzten Monaten haben sich bei der Frage, wo der Weg der PKK künftig hinführt, bereits unterschiedliche Positionen herauskristallisiert. Insbesondere unter den Jüngeren, aber auch beim militärischen Flügel, der ARGK, sind Anhänger einer Fortsetzung des bewaffneten Kampfes zu finden. Wenn wir in den ersten Tagen nach Urteilsverkündung militante Aktionen im Land hatten, kann das durchaus der Interessenslage der PKK bezüglich Westeuropa zuwiderlaufen. Wenn bei einem solchen Anschlag Personen getötet werden und die Polizei Täter ermitteln kann, die einen PKK-Vorlauf haben, belastet dies die Glaubwürdigkeit der PKK. Sie muß also ein großes Interesse haben, die Aktivitäten aus dem Kreis ihrer Anhänger möglichst unter Kontrolle zu halten. Inzwischen hat die Forderung der ERNK, des politischen Flügels, daß sich Proteste im Rahmen geltenden Rechts zu bewegen haben, offenbar ihre Wirkung gezeigt.

Was ihr nur bedingt gelingt. Nun gibt es die Unterstellung, daß ein Teil der PKK-Kader Öcalans Friedensangebot an den türkischen Staat mißbilligt und genau aus diesem Grund Anschläge in der Türkei, aber auch in Deutschland inszeniert, um so die Stimmung für eine Hinrichtung Öcalans zu befördern. Ist das eine Verschwörungstheorie, oder gibt es eine Plausibilität?

Das wäre eine Verschwörung mit dem Ziel der Spaltung bei gleichzeitiger Schwächung der PKK, weil es kontraproduktiv zu politisch-diplomatischen Bemühungen in Richtung der türkischen Regierung wäre. Daß ein Teil der Organisation und der Kader erhebliche Probleme mit den Aussagen Öcalans während des Prozesses hat, ist klar. Nachdem der türkische Staat über Jahre für die PKK, aber auch für die Unterstützergruppen sowie linksextremistische Gruppen der Türkei das Feindbild schlechthin war, erklärt Öcalan nun, die Türkei sei gar kein faschistischer Staat, sondern ein demokratischer Staat mit politischer Freiheit und Meinungsfreiheit. Da Öcalan bis heute die Integrationsfigur für die PKK und die Kurden ist, sind diese Ausführungen während des Prozesses öffentlich nicht kommentiert worden.

Und das ändert sich nun?

Dieser von Öcalan vollzogene ideologische Bruch, dieser Wandel in der Beschreibung der türkischen Verhältnisse ist von den Unterstützergruppen und Teilen der PKK nur schwer nachvollziehbar und wird von ihr selbst nicht aktiv kommuniziert. Das gemeinsame Feindbild türkischer Staat war für viele identitätsstiftend und handlungsmotivierend. Wenn ihnen nun durch Öcalan das Feindbild genommen wird, ohne daß sie das nachvollziehen können, kommen sie in eine Legitimationskrise. Sie müssen sich fragen: Sind derartige politische Veränderungen eingetreten, oder können sie eintreten, so daß die politische Position nicht mehr militant oder terroristisch verfolgt werden kann?

Die Antworten werden unterschiedlich ausfallen. Das bedeutet aber auch, daß die PKK vor Auflösungsprozessen steht, in deren Verlauf kleinere Gruppen entstehen können, die von der Organisation auch nicht mehr zu steuern sind.

Klar war, daß es vor der Urteilsverkündung in der PKK keine offenen innerorganisatorischen Auseinandersetzungen um Öcalans pauschales Friedensangebot geben konnte, da Öcalan Integrations- und Symbolfigur zugleich ist. Das wird bis zur Entscheidung über eine Vollstreckung des Urteils so bleiben. Es bleibt abzuwarten, wie und wann sich die unterschiedlichen Positionen innerhalb der PKK offenbaren, was dann handlungsrelevant wird und ob sich aus Fraktionierungen förmliche Abspaltungen ergeben.

Noch mal zurück zu den Anschlägen auf türkische Vereine und Reisebüros in Deutschland. Wenn die Sicherheit aufgrund der Vielzahl der Objekte nicht gewährleistet werden kann, besteht dann nicht die Gefahr, daß die Betroffenen zur Selbstverteidigung greifen? Und wie schätzen Sie in diesem Prozeß die Rolle und Möglichkeiten der rechtsextremistischen Grauen Wölfe ein?

Die Befürchtung hat es bei früheren Gewaltwellen, die der PKK zugerechnet werden konnten, immer gegeben – sie ist aber nicht eingetreten. Das gilt auch für die Grauen Wölfe.

Ist das ein Ausdruck der Kräfteverhältnisse?

Ja. Die PKK ist besser und straffer organisiert. Den Grauen Wölfen fehlt sowohl ein entsprechender Organisationsgrad als auch ein entsprechendes militantes Bestrafungskonzept.

Interview: Eberhard Seidel