Wozu noch verreisen?    ■ Von Ralf Sotscheck

Reisen wird nie mehr so sein wie früher. Seit 1. Juli ist der zollfreie Einkauf innerhalb der Europäischen Union abgeschafft. Damit entfällt für viele Iren der Anreiz, die Insel überhaupt zu verlassen. Wer früher von einer Auslandsreise zurückkehrte, ohne die erlaubte Menge Duty-free ausgeschöpft zu haben, galt als einfältig oder als Verschwender.

Es war wie ein Pawlowscher Reflex: Whiskey für zehn Pfund kann man immer gebrauchen, auch wenn zu Hause noch sieben Flaschen von den letzten Trips stehen. Zigaretten zu einem Drittel des Ladenpreises? Irgend jemand wird sie schon rauchen, und wenn nicht, fängt man eben selbst wieder an. Würstchen und Speck, damit man im Ausland nicht auf das irische Frühstück verzichten muß, obwohl man es der Leber zuliebe daheim eher meidet. Rasierwasser, Fotoapparate, Wecker – alles mitbringseltauglich. Wer mehr kauft, spart mehr. Jeder Mensch hat irgendwann Geburtstag, und dann muß man nur den Duty-free-Schrank aufmachen, wo sich die Ware stapelt.

Aus und vorbei. Die irischen Zeitungen berichteten am 1. Juli in ganzseitigen Reportagen über die 130 Passagiere, die am Vorabend um 21.35 Uhr als letzte Duty-free-Berechtigte von Dublin nach London flogen. „Flug FR 296 macht Geschichte“, hieß es in den Schlagzeilen, als ob es sich dabei um die erste Überquerung der Irischen See gehandelt hätte. Die Fluggäste mußten detailliert von ihren Gefühlen beim letzten Griff zur zollfreien Flasche erzählen.

Viele Iren waren kurz vor dem Stichtag noch einmal mit dem Boot nach Wales gefahren. Der Ticketpreis rentierte sich spielend, wenn man die Einkaufstaschen und Rollwagen bis zum zulässigen Gesamtgewicht mit zollfreien Einkäufen vollstopfte. Mit jedem Bier, das man an Bord trank, sparte man noch mehr. Lästig nur, daß man im walisischen Holyhead für anderthalb Stunden von Bord mußte, bevor es zurückging.

Der junge Mann an der Duty-free-Kasse sah schwere Zeiten auf sich zukommen. „Wir brauchen künftig ein Navigationsgerät im Laden“, sagte er, „denn ab 1. Juli erheben wir auf der Fahrt nach Wales bis 13 Meilen vor Holyhead irische Abgaben und Mehrwertsteuer. Für den Rest der Strecke gelten britische Steuern und irische Mehrwertsteuer. Auf der Rückfahrt muß man britische Abgaben und britische Mehrwertsteuer zahlen, ab 13 Meilen vor Dublin dann irische Abgaben und britische Mehrwertsteuer.“ Die Reedereien werden die Fährpreise erhöhen müssen, und auch bei der Flughafengesellschaft überlegt man, wie man die 3,24 Pfund, die jeder Fluggast im Durchschnitt in Duty-free-Shops ausgegeben hat, wieder hereinholen kann.

Die Fluggäste stehen nun mit wehmütigem Blick vor den prall gefüllten Regalen im Dubliner Flughafen und starren auf doppelte Preise: Einer günstig wie zuvor, für Reisende nach Übersee, der andere mehr als doppelt so hohe, für die armen Teufel, die innerhalb der EU bleiben. Manche von ihnen sollen bei dem Anblick sogar geweint haben. Andere drükken sich verstohlen am Abflugschalter für Amerika-Flüge herum. Wenn einer dort keine schwere Duty-free-Tüte in der Hand hält, fragen sie ihn leise, ob er – gegen eine geringe Gebühr – die Bordkarte für ein paar Minuten ausleihen würde.