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Auf mattgrauem Grund

Die europäischen Alpen als Ort einer abstrakten Erfahrung: Walter Niedermayrs farbige Fotografien der „Reservate des Augenblicks“ sind derzeit auf Ausstellungstournee. Jetzt liegen die weiträumigen Arbeiten auch in Form eines Bildbandes vor  ■   Von Ulf Erdmann Ziegler

Die Alpen sind gewiß kein bequemes Sujet für einen Fotografen, den die Erlebnisse des Bergsteigens und der geschwinden Abfahrt nicht interessieren. Überhaupt sind Berge als solche ja bereits ideologisch verdächtig, oder wenn schon nicht die Berge, dann zumindest doch ihre bildliche Darstellung. Dies wird dem Fotografen Walter Niedermayr aus dem italienischen Bozen bewußt gewesen sein, als er vor vier Jahren begann, die europäischen Alpen zu bereisen. Das Ergebnis, eine komplexe Studie, macht zur Zeit als Ausstellung die Runde, nicht allein durch die Alpenländer freilich. Vorn im Buch „Reservate des Augenblicks“ ist eine Installation aus neun Bildern zu sehen, die eine Art stürzendes Gletscherpanorama darstellt. Dennoch machen die Bilder in ihrer schlichten Holzrahmung keinen großen Eindruck; im Buch selbst sind sie viel überzeugender. Das hat den simplen Grund, daß sie unglaublich hell und leicht sind, auch dann, wenn kein Schnee, sondern nur Geröll zu sehen ist. Fast weiße Bilder auf weißem Papier, das ist eine Herausforderung an die Betrachter.

Im Bild „Kitzsteinhorn IV“ besteht die Landschaft tatsächlich nur noch aus einem matten Grauton. Winzig, nicht einmal ein Zentimeter groß, sind die Figuren, die dennoch in ihrer Kleidung und Bewegung gut zu identifizieren sind. Man sieht nackte Beine und um die Hüfte gebundene Jacken. Tatsächlich ein Zug aller fahl-monochromen Landschaften (nicht nur des Schnees, sondern auch des Strandes): ein rotes T-Shirt ist eine Sensation.

Der strukturlose Grund mit den achtzehn winzigen Figuren ist allerdings nur die rechte Ausdehnung eines Zweiteilers, der sich auf der linken Hälfte des Buchs fortsetzt. Dort sieht man, wie die Schneedecke in rohem, zerklüftetem Gestein endet und ein Minimum an Sicht erlaubt, einen Blick in ein fernes blaues Tal.

Viele der Bilder sind in dieser Art als Diptychen konstruiert, manche auch als Drei- und Vierteiler. Dabei versucht Niedermayr den Zusammenhang aufzuzeigen zwischen einer Landschaft, die von den Alpenreisenden gesucht wird, und der Infrastruktur, die mit dem Massentourismus gewachsen ist. Man sieht Aussichtsplattformen, Skilifte, Straßen, Parkplätze und Pfade – und riesige Maschinen wie kleine Käfer auf gigantischen Abfahrten –, aber die Technik wird immer in Verbindung gebracht mit der Erfahrung von Natur, oder genauer des Bildes der Natur, das die Reisenden suchen.

Im Katalog der Wiener Ausstellung „Alpenblick“ (aus dem Jahr 1997) bekennt der Fotograf schlicht, „daß ich Blickwinkel verwende, die ganz normal und eigentlich für jeden Touristen nachvollziehbar sind“. Nur, daß die Touristen sich gegenseitig fotografieren und camcordern, während Niedermayr sie als Staffage in den gigantischen Ausblick einpaßt. Gewiß legt er nahe, daß manchen das entgeht, was sie suchen.

Eigentümlicherweise sind in das farbig gedruckte Buch einige rare schwarzweiße Fotografien eingeschoben, die ein wenig an den überzogen lyrischen Stil der „subjektiven Fotografie“ erinnern. So begreift man allerdings leicht, wie intensiv das Phänomen der reduzierten Farbe ist, dem der große Teil von Niedermayrs Arbeit (draußen und im Labor) gilt. Ein gewaltiger fensterloser Schuppen, der wie die Monumentalausgabe einer Käsedose auf einem Rest von grüner Wiese steht: Es braucht ein insistentes Auge, um die Disproportion ins Lot zu bringen.

Francesco Bonami liegt wohl richtig, wenn er Niedermayrs weiträumige und präzise Fotografie in der Tradition der amerikanischen Dokumentation sieht (mit einem offenen Ende zur Kunst hin). Es geht dabei weniger darum, Indizien zusammenzutragen – diese Fotografie ist weder für ökologische Parteigänger noch für die Tourismuswerbung wirklich zu gebrauchen –, sondern darum, einen Kontext von einem piktorialen Vorurteil zu befreien. Der Fotograf zeigt den Schrecken dieser Landschaft und ihre Größe in einer banalen Pose, aber dockt überraschenderweise mit seinen nahezu weißen Bildern gleichzeitig bei der Farbfeldmalerei an. Die Alpen eignen sich also sehr wohl – denkt man, wenn man dieses Buch anschaut – als Ort einer abstrakten Erfahrung. Und die Fotografie auch. Walter Niedermayr: „Reservate des Augenblicks / Momentary Resorts.“ Mit Texten von Francesco Bonami, Sigrid Hauser und Guy Tortosa (deutsch und englisch). Hatje Cantz Verlag, 113 Seiten, gebunden, 78 DM

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