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Zur Scholastik der Tagedieberei ■ Von Joachim Schulz (wirklich!)
Natürlich sind wir mustergültige Bohemiens und halten uns streng an § 1 des Grundgesetzes für Lebenskünstler, welcher besagt: „Sei lustig und mach dir keine Sorgen. Was die Zukunft bringt, das sehen wir dann morgen.“ Und wenn wir einen akkurat gescheitelten Zeitgenossen von „Lebensplanung“ und „Altersvorsorge“ palavern hören, dann kucken wir nur verständnislos aus der Wäsche und fragen uns, warum wir den Knall nicht hören, den dieser Mensch hat.
Bisweilen aber, wenn wir nicht aufpassen, holt sie uns doch ein, die Zukunft. Es ist jedenfalls später Nachmittag, die Türklingel gibt einen apokalyptischen Krach von sich, und draußen steht Caspar, der – wie man seinem zerknautschten Antlitz ansieht – soeben einen Stärkungsschlummer auf seinem Sofa genommen hat. Da er zwei verschiedene Schuhe trägt, darf ich getrost vermuten, daß ihm das Schläfchen nicht sonderlich gut bekommen ist. „Ich hatte einen grauenvollen Traum“, sprudelt er denn auch sofort los: „Ich war nämlich gestorben und stand vor einem himmlischen Schnellgericht, wo im Minutentakt nach Aktenlage entschieden wurde. Und weißt du, wohin sie mich geschickt haben? In die Hölle! Ist das gerecht? Einen wie mich, der früher sogar mal gegen Pershings und Atomkraft demonstriert hat, in die ewige Verdammnis zu schicken?“
Natürlich sollte ich ihn jetzt darauf hinweisen, daß diese Aufregung einem mustergültigen Bohemien nicht gerade gut zu Gesichte steht. Auch könnte ich ihn daran erinnern, daß wir am Samstag beim Backen eine unvorteilhafte Gottvater-Plastik aus Pizzateig hergestellt haben und deshalb – Erstes Gebot! – kaum auf einen günstigen Prozeßverlauf rechnen dürfen. All das aber lasse ich ungesagt, denn – die Wege der Traumproduktionsstudios sind unergründlich – auch ich war in der vergangenen Nacht in der Hölle. Bei mir indessen fand überhaupt kein Gerichtsverfahren statt, und das lag daran – wie ich von einem Unterteufel erfuhr, der mir gerade mit Ako-Pads den Rücken schrubbte –, daß es überhaupt kein Elysium gibt, sondern schlechthin jeder nach seinem Ableben in Luzifers Grillstube landet.
„Du meine Güte, wenn du recht hast ...“, keucht daraufhin Caspar und schnappt sich eine Flasche 54%igen Rum, der eigentlich nur zur Produktion von winterlichen Heißgetränken gedacht ist. Ich dagegen widme mich der theologischen Reflexion. „Wenn ich recht habe“, sage ich deshalb, „brauchen wir uns wegen der Pizzateigplastik von vorgestern keine Sorgen zu machen. Und außerdem: Was meinst du, wie viele Teufelchen gibt es da unten?“ „Keine Ahnung“, krächzt er verständnislos. „Zehn? Hundert?“ „Eben“, sage ich. „Wir aber sind ein paar Milliarden. Wir werden – denn woanders können sie ja nicht sein – Che Guevara treffen und Lenin, ein paar tausend Jakobiner und die ganze glorreiche Rote Armee. Wir werden, kurzum, den größten Revolutionstrupp aller Zeiten zusammenstellen, und da wäre es doch gelacht, wenn wir Luzifer und seine paar Männeken nicht ruck, zuck zur Hölle schicken könnten.“ „Zur ... Hölle schicken?“ stammelt Caspar. „Genau!“ sage ich und grinse zufrieden und greife dann auch nach dem Rum, denn schließlich müssen große Pläne mit einem guten Schluck besiegelt werden.
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