Das Portrait: Konservativer Liberaler
■ Theodor Eschenburg
„Die alten Römer erfanden die Regel: De mortuis nihil nisi bene.“ So leitete der Tübinger Politikwissenschaftler und Publizist Theodor Eschenburg einmal eine Rede über den Politiker Carlo Schmid ein – fügte jedoch listig hinzu: „Aber das galt nur für den Tag des Begräbnisses ...“ Für den am Samstag im Alter von 94 Jahren verstorbenen Eschenburg selbst wird das wohl länger gelten – wer wagt schon, dem „Praeceptor Germaniae“, dem „Gewissen der Nation“ und „Hüter der Verfassung“ übel nachzureden?
Dabei hatte sich der streitbare und in den Medien häufig präsente Kritiker der Parteien und Institutionen nie besonders große Mühe gegeben, von allen geliebt zu werden: Seine Schrift „Der Beamte in Partei und Parlament“ untersuchte 1952 heikle Themen wie Ämterpatronage. Gegen den Zeitgeist sprach er sich 1958 für Notstandsgesetze aus und warnte 1960 in seiner Broschüre „Das isolierte Berlin“ vor Konzessionen an den Ostblock. Die Hoffnung auf eine deutsche Wiedervereinigung bezeichnete er 1984 kurzerhand als illusorisch. Die „Funktionsfähigkeit“ der deutschen Demokratie war Eschenburgs Hauptanliegen – und er fand, ein Staat könne nicht richtig funktionieren, wenn sich das Volk zu sehr einmische. Folgerichtig warf er der Partei der Grünen vor, mit ihren basisdemokratischen Flausen das staatliche Gefüge der Bundesrepublik zu gefährden.
Eschenburgs Skepsis gegen die direkte Demokratie kann aus seinen persönlichen Erfahrungen erklärt werden: Der Mitbegründer der deutschen Politikwissenschaft hatte das Desaster der Weimarer Republik miterlebt. 1904 in Kiel als Sohn eines Marineoffiziers geboren, war Eschenburg in einer liberalen Patrizierfamilie (in den „Buddenbrooks“ als die Huneus zu finden) groß geworden. Nach ein paar Semestern Geschichtsstudium in Tübingen zog Eschenburg nach Berlin; Gustav Streesemann persönlich redigierte seine Doktorarbeit. Im Zweiten Weltkrieg überwinterte er als Syndikus bei Verbänden der Reißverschluß- und Knopfindustrie.
Nach dem Krieg wurde Eschenburg Staatskommissar für das Flüchtlingswesen in Tübingen, später stellvertretender Innenminister. Auch als er 1952 den neuen Lehrstuhl für „Wissenschaftliche Politik“ besetzte, hörte er nicht auf, Politiker zu beraten. Zuletzt, in den 90er Jahren sprach er sich für eine Beschneidung der Rechte des Bundesrates aus, empfahl die Einführung des Mehrheitswahlrechts und wollte, daß nur noch alle sechs Jahre gewählt werde – damit die Abgeordneten nicht ständig mit Wahlkampf beschäftigt seien.
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