Mehr als die Wirklichkeit

Hamburg, Coney Island, Schneekristalle: Mit Andreas Feininger präsentiert das Altonaer Museum einen Foto-Klassiker  ■ Von Hajo Schiff

Seine „Photolehre“ dürfte jeder schon einmal in der Hand gehabt haben, der je etwas mehr als bloß knipsen wollte. Vermittlungsarbeit war dem amerikanischen Fotograf Andreas Feininger immer wichtig: Auf über 50 Bücher in 13 Sprachen brachte er es. So schien es wenig originell, als das Tübinger „Institut für Kulturaustausch“ 1996 eine Retrospektive des damals 90jährigen plante. Doch tatsächlich hatte es in Europa noch keine größere Ausstellung dieses Foto-Klassikers gegeben. Und so beteiligte sich Feininger an der Auswahl der über 200 Arbeiten und kommentierte persönlich eine Auswahl seiner 86 Lieblingsbilder im Katalog. Der wurde so etwas wie ein Vermächtnis, denn in diesem Februar starb der unbestrittene Meister der Schwarzweiß-Fotografie. Die aus Rotterdam kommende, äußerst erfolgreiche Wanderausstellung macht jetzt Station im Altonaer Museum und fügt sich vorzüglich in das Programm der „1. triennale der photographie“ ein.

Aber es gibt noch mehr Bezüge zu Hamburg: Der in Paris geborene und in Deutschland aufgewachsene Künstlersohn war nach seiner Ausbildung am bauhaus 1930 als Architekturzeichner bei der Karstadt AG in Hamburg angestellt und machte auf vorwiegend nächtlichen Streifzügen visionäre Fotos der Stadt. In einem nun ebenfalls ausgestellten Brief an Ralf Busch, den Direktor des Harburger Helms- Museums, bezeichnet er zudem seine Zeit in dieser Stadt als das glücklichste Jahr in seinem Leben. Inzwischen ist das Fotobuch Feiningers Hamburg ein in Antiquariaten gern gesuchtes Rarissimum.

Als Sohn des berühmten Malers Lyonel Feininger kam Andreas nicht umhin, sich auch auf seinen Vater zu beziehen und die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen: „Alle seine Bilder sind hoch organisiert, vollkommen durchgeplant in diesen schönen klaren Proportionen. Ich versuche dasselbe in der Fotografie.“ Und es ist ihm gelungen. Dabei sind die Strukturen seiner Fotos nie Selbstzweck, sondern funktionieren wie ein natürlich anwesendes Gerüst im Hintergrund der Bildaussage.

Seit 1939 in New York lebend, wurde die architektonische Erscheinung dieser Stadt zu Feiningers Lieblingsmotiv. Die perspektivische Verdichtung der Hochhausvolumen, dem massenhaften Gewimmel der Menschen in Coney Island und der endlosen Reihung der Grabsteine in Queens stehen intensive individuelle Porträts gegenüber.

Ein zweiter Schwerpunkt ist der Blick auf die Formen der Natur von der zerbrochenen Muschel zum Schneekristall. „Ich betrachte Objekte in der Natur in erster Linie mit den Augen eines Ingenieurs, der vom Zusammenspiel von Form und Funktion fasziniert ist, und dann mit den Augen des Künstlers im Ansehen dessen, was bedingt durch das Fehlen einer genauen Definition gewöhnlich Schönheit genannt wird.“

Von 1943 bis 1961 fester Mitarbeiter des Magazins Life realisierte er nahezu 400 Reportagen. Dabei finden selbst seine Fotos aus der Rüstungsproduktion in Milwaukee oder die der Lichtspur eines startenden Hubschraubers einen Blickwinkel, der mehr als nur kurzfristige Gültigkeit hat. Feininger, dessen Schwarzweiß-Bilder so ausgesucht perfekte Grauwerte enthalten, daß das Fehlen der Farbe kaum mehr auffällt, beherrschte zudem alle Dunkelkammertricks und baute sich auch viel Fotohardware selbst: Solarisation, Runzelkorn und Reliefbild setzte er beispielsweise für Aktfotos ein, Tausend-Millimeter Objektive baute er aus Holz.

Und doch war ihm ein Foto um seiner selbst willen immer suspekt: Sein Interesse bezog sich vor allem auf das inhaltliche Motiv, das mit der Fotografie als einer Weltsprache transportiert werden sollte. Angesichts verlorengegangener visueller Ordnungsstrukturen und heutiger digitaler Manipulationsmöglichkeiten wirkt Feiningers Credo fast etwas nostalgisch: „Ich glaube, daß idealerweise ein Fotograf dem Betrachter mehr zeigen sollte, als er in Wirklichkeit zu sehen vermag.“ Doch in einem ist der Altmeister höchst aktuell: in der Warnung, nicht „die Zeit mit visuellem Babbeln zu verschwenden!“

Andreas Feininger: Photographs 1928 – 1988“, Altonaer Museum, bis 3. Oktober. Katalog mit 86 Lieblingsbildern von Feininger samt persönlichem Kommentar: 39 Mark, Buchhandelsausgabe: 98 Mark