: Ein Regent mit hoher Popularität
Am Nationalfeiertag demonstriert Frankreichs Präsident Chirac Größe und Gelassenheit. Doch seine eigene politische Basis läuft ihm davon ■ Aus Paris Dorothea Hahn
210 Jahre nachdem das Volk von Paris das Staatsgefängnis, die Bastille, stürmte, lud der oberste Franzose gestern ein gekröntes Haupt aus einem Land, das auch heute noch politische Gefangene, Folter und Zensur kennt, zum Nationalfeiertag ein. Gemeinsam nahmen Jacques Chirac und der marokkanische König Hassan II. die traditionelle Militärparade auf den Champs-Élysées ab. Der eine im dunklen Anzug, der andere in bodenlanger weißer Djellabah, ließen sie ihre Elitetruppen an sich vorbeidefilieren. Mehrere hundert Mann und eine Frau der Palastgarde von Hassan II., die im Fall einer republikanischen Volksbewegung die Funktion hätte, die marokkanische Monarchie zu sichern, marschierten an vorderster Stelle. Gefolgt von französischen Einheiten sämtlicher Waffengattungen.
Während die Einladung an den seit 37 Jahren herrschenden Marokkaner bei französischen MenschenrechtlerInnen, bei marokkanischen Oppositionellen und bei SprecherInnen der Befreiungsbewegung der marokkanisch besetzten Westsahara, „Polisario“, für Irritation sorgte, machte Chiracs einstündige Fernsehansprache zum 14. Juli Ansprache seine politischen Freunde aus dem französischen konservativen Lager perplex. Zahlreiche Konservative hatten in den Tagen vor Chiracs Auftritt gewünscht, der Staatspräsident, der einst die neogaullistische RPR gegründet hat, die sich heute in der schwersten Krise ihrer Geschichte befindet, möge klärende Worte zur Situation der französischen Rechten sagen. Andere selbsternannte Souffleure, unter ihnen Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing, schlugen eine Verfassungsreform vor. Chirac solle die Amtszeit des Staatspräsidenten von gegenwärtig sieben auf künftig fünf Jahre verkürzen und selbst bereits im nächsten Jahr, statt kalendermäßig im Jahr 2002, Präsidentenwahlen veranlassen.
Nachdem Chirac mit der vorzeitigen Auflösung der Nationalversammlung den Weg dafür bereitet hatte, daß die Rot-Rosa-Grünen an die Regierung und seine eigenen Leute in die Opposition gerieten, fand die jüngste neogaullistische Schlappe bei den Europawahlen im Juni statt, bei denen die RPR nicht einmal 13 Prozent bekam – weniger als die „souveränistischen“ (euroskeptischen) DissidentInnen der RPF, die sich erst kurz zuvor von ihr getrennt hatten. Seither krebsen auf konservativer Seite mehrere Organisationen herum, die sich gegenseitig mit persönlichen und politischen Querelen, die die Öffentlichkeit nicht mehr interessieren, lahmlegen.
Chirac, dessen Fernsehauftritt gestern in Form eines Live-Interviews mit drei StarjournalistInnen stattfand, die dem Präsidenten höfliche Fragen stellten, entsprach den Erwartungen seiner konservativen „FreundInnen“ nicht. Im Gegenteil: Er lobte die von ihnen kritisierte Kohabitation mit den Linken als „konstruktiv“. Der Einführung eines „Quinquennats“ erteilte er eine klare Absage.
Im Elysee sitzt ein Neogaullist, dem MeinungsforscherInnen anhaltende Popularität bescheinigen, dem aber seine politische Basis davonläuft. Und im Palais Matignon sitzt ein sozialistischer Premierminister, der sich darauf vorbereitet, 2002 gegen einen Präsidenten, mit dem er jetzt noch harmonisch kohabitiert, ins Rennen um die nächste Staatspräsidentschaft zu gehen.
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