Wanted! Senat zur Fahndung ausgeschrieben

■  Drei Monate vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 10. Oktober sind die Steckbriefe gedruckt. Gesucht wird nach Leistungsverweigerern und Joggern, Gassipolizistenführern und Sparschweinen. Wer kann mit Haftverschonung oder Begnadigung rechnen, und wem droht die Höchststrafe?

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gilt als Pate der Senatsbande. Codename „Ebi“. Befindet sich zur Zeit auf der Höhe seiner Karriere als Fälscher. Ihm wird vorgeworfen, sich mehrmals als Franka Potente ausgegeben zu haben, Plagiate der Sportschuhmarke New Balance in Umlauf zu bringen und Produktionen der britischen Satiriker Monty Pythons nachzuäffen. Muß vor der konkurrierenden Momper-Mafia nur wenig zittern. Privat bezeichnet sich Diepgen als „ausgesprochener Familienmensch“, steht auf hausgemachtes Apfelmus und Rinderroulade. Geschäftlich kennt er keine Gnade. Diepgen kämpfte bis zuletzt gegen das Holocaust-Mahnmal und soll sich angeblich sittenwidrig Jacke und Weste „für Berlin“ zerreißen. Meint: „Beim Laufen kommen einem die besten Ideen.“ Foto: Archiv

Achtung! Dieser Mann ist gefährlich! Nach nur acht Monaten im Amt hat Innensenator Eckart Werthebach (CDU) Beträchtliches auf dem Kerbholz. Im Zusammenhang mit den vier Toten vor dem israelischen Generalkonsulat wird gegen ihn wegen des Schutzes einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Aber auch als oberster Spitzelführer muß man dem Innensenator attestieren: Unfähigkeit schützt vor Strafe nicht. So bleibt ihm der Gang vor die Volkstribunen wohl kaum erpart. Damit aber so wenig Belastungsmaterial wie möglich gefunden wird, hat sich der 58jährige sogar Rat bei einer Hundestaffel geholt und seinen Mannen einen Maulkorb verpaßt. Ganz eindeutig: Der Mann ist ein Fall für die Bundesanwaltschaft. Foto: Archiv

Wie auch immer sich Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) in den vergangenen vier Jahren an sozialdemokratischer Tradition und Berliner Subventionsmentalität vergangen hat – sie tat es aus Notwehr. In einer nächtelangen Sparklausur des Kabinetts zerrüttete sie vor drei Jahren die Nerven ihrer Kollegen. An den Spätfolgen jener Folter leiden die traumatisierten Senatskollegen noch heute. Christdemokraten stoßen seither reflexartig das Wort „sozial“ hervor, und Sozialdemokraten stammeln unentwegt: „Modernisierung!“ Die Anwälte der Senatorin sehen die Schieflage des Landeshaushalts aber als rechtfertigenden Notstand an – ein Umstand, auf den sich auch ihr Komplize Hans Eichel berufen kann. Die CDU prüft allerdings, ob sie im Walhkampf den beiden die Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Last legen kann. Die Partei wird aber nicht verhindern, daß die Delinquentin ihr Werk nach den Wahlen fortsetzen kann. Foto: Stefan Boness/IPON

Als Bezirksbürgermeister von Kreuzberg war er noch eine Größe. Als Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie befindet sich Peter Strieder den größten Teil seiner Amtszeit auf der Flucht. In der Umweltpolitk trumpfte er mit einem Parkkonzept und einem Programm zur Förderung ressourcensparender Investitionen für Häuslebauer auf. Doch bis auf den Lustgarten, der zudem nach den Entwürfen des alten Schinkel wiederersteht, bleiben die Pläne ebenso Makulatur wie ein durchschlagendes Ökokonzept: Solarzellen findet man auf den Dächern der Stadthäuser vergebens. Strieders größtem Coup, dem Masterplan, erging es nicht anders. Der Rekonstruktionsplan für die City Ost und West mit schicken Wohnungen für Urbaniten, mußte Federn lassen und steht da wie ein gerupftes Huhn. Seine zentrale Aussage und Ziel sind perdu: Bausenator Klemann (CDU) durfte seine Verkehrstrassen behalten, die Flucht ins Umland konnte der Provinzfürst der SPD nicht bremsen. Da bleibt dem flüchtigen Senator nur, sich wenigstens mit Gassipolizisten vor seinen Verfolgern zu schützen. Wir meinen: Herr Strieder, stellen Sie sich! Foto: Christian Ditsch/Version

Eine Kandidatin für die Höchststrafe ist Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Eher lustlos verwaltet die 56jährige ehemalige Sozialsenatorin und Kandidatin für das Amt der Regierenden das Ressort Schule, Jugend und Sport. Ein klassischer Fall für das jüngste Gericht!

Anstatt sofort nach den Wahlen das verstaubte Schulsystem anzupacken, kam Stahmer erst im vergangenen Jahr mit einem „Reförmchen“, der Grundschulreform 2000. In ideologischen Streitpunkten wie grundständigen Gymnasien oder Ausländerklassen positionierte sie sich nie wirklich deutlich, mußte auch schon mal Watschn von ihren Parteigenossen einholen. Ihr neues Schulgesetz mit vielen innovativen Ansätzen wurde in dieser Legislaturperiode gar nicht erst eingebracht. Auch in Sachen Jugend kam nicht viel rüber. Stahmer wirkte eher wie eine alte Tante als wie eine, die wirklich an der Jugend interessiert ist. In sportlichen Belangen wie der Zukunft des Olympiastadions verhandelten eher ihre Senatskollegen als sie selbst. Foto: Archiv

Gegen Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) liegt wenig Gerichtsverwertbares vor. Der einstige Parteilinke verbrachte seine anderthalbjährige Amtszeit größtenteils im Untergrund. Bei der Justiz meldete er sich von Zeit zu Zeit mit provokanten Forderungen zurück, als er beispielsweise die Wiedereinführung von geschlossenen Erziehungsheimen forderte. Ein klarer Fall von Kinderschändung. Zu einer Verurteilung wird es trotzdem kaum kommen: Seine Vorschläge blieben stets im Stadium des unvollendeten Versuchs stecken, und Justizkreise bescheinigen ihm gute Führung im persönlichen Umgang. Trotzdem wird eine Anklage wegen groben Unfugs erwogen: Im Kampf gegen Graffiti wollte er das Strafrecht verschärfen, und bevor er seine Sommerferien antrat, dozierte er noch schnell über das „Kinderrecht auf Elternliebe“. Auf jugendliche Ersttäter will der mehrfache Vater und Großvater besonders geschulte Polizisten ansetzen, die das Verfahren nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft einstellen können. Beim Modellversuch zur Heroinabgabe an Schwerstabhängige könnte sich Körting durch Unterlassen strafbar gemacht haben. Foto: Archiv

Schöller? Das kennt man. Zumal im Hochsommer. Aber Schöttler? Dabei haben die Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) und ihre Vorgängerin, die jetzt in Bonn Familienministerin ist, eines gemeinsam: Sie fallen nicht auf. Natürlich bemüht sich Schöttler redlich, im Senat erkannt zu werden: Da wird an Frauen und Mädchen appelliert, lieber sogenannte Männerberufe zu erlernen, da werden ausländische Bauarbeiter schon mal als Schuldige für die Jobmisere auf dem Bau ausgemacht; sogar für Walter Mompers Putzfrauen-Affäre hatte Schöttler eine Lösung: Haushaltshilfen, sozial abgesicherte, sollten über staatlich geförderte Dienstleistungsagenturen vermittelt werden. Immerhin arbeiten mittlerweile schon 54 Berlinerinnen in solchen Agenturen. Das ist ein schöner Anfang: Sonst jedenfalls sank seit dem Amtsantritt der nahezu untergetauchten SPD-Senatorin die Arbeitslosigkeit nur saisonbedingt. Unser Plädoyer: Bewährungsstrafe. Foto: Archiv

Sozial- und Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) hat vor allem bei den Kliniken zugeschlagen. Mit ihrer chaotischen Krankenhausplanung hat die überforderte Ärztin mit der Doppelquote (Frau und Ossi) die ganze Stadt in Aufruhr versetzt. Immerhin, ihren Staatssekretär hat die 44jährige dabei aus dem Weg geräumt. Am Ende hat sie einen Klinikplan durchgeboxt, doch der ist kaum geeignet, die hiesigen Kliniken fit für die Zukunft zu machen. Unterlassene Hilfeleistung werfen die Krankenhausbeschäftigten Hübner vor, denn ein Konzept für den sozialverträglichen Abbau der bis zu 8.000 Arbeitsplätze, die dem Sparkurs zum Opfer fallen werden, fehlt immer noch. Anklage erheben auch die Flüchtlinge, denen die Senatorin die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Einführung der Chipkarte beschert hat, und die Gewerkschaften, denen Hübners Angriffe auf die Ladenschlußzeiten mißfallen. Viel erreicht hat Hübner nicht. „Ernsthaft bemüht“, lautet denn auch das vernichtende Urteil, das häufig zu hören ist. Doch Vorsicht, die Senatorin würde gerne zur Wiederholungstäterin, doch das wird die eigene Partei verhindern. Foto: Rolf Zöllner

Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) trat dem „Senat von Berlin“ erst im November 1998 bei. Innerhalb der Organisation trägt er den Decknamen „Wirtschaftssenator“. Branoner verfügt über Kontakte zur sogenannten Industrie und droht seit längerem damit, „viele neue Unternehmen“ in Berlin anzusiedeln. Beweise dafür gibt es kaum. Einen Namen hat sich der Inline-Skater mit der Ankündigung gemacht, den Müll der Berliner künftig von den Kräften des Marktes beseitigen zu lassen. Branoner tarnt sich in der Unterorganisation „CDU“ als Liberaler, wurde erst kürzlich Opfer interner Verteilungskämpfe: Rivalen von rechts verwehrten ihm einen sicheren Listenplatz im Stammrevier Neukölln. Ihm wird vorgeworfen, für fehlendes Wirtschaftswachstum verantwortlich zu sein. Foto: Archiv

Wer nach Bausenator Jürgen Klemann (CDU) fahndet, sollte dies nicht am Wochenanfang oder zum Wochenende unternehmen. Schließlich, so munkelt man in seinem Amtssitz, sei der DiMiDo-Senator nur dienstags, mittwochs und donnerstags so richtig zu sprechen. Ein wahres Laboratorium für neue Arbeitszeitmodelle ist die Bauverwaltung mit Klemann geworden.

Und die Arbeit selbst? Als wahrscheinlich kann gelten, daß sich Jürgen Klemann montags und freitags darum kümmert, den Senatsbeschluß zur Verringerung des Individualverkehrs umzusetzen. Dienstags, mittwochs und donnerstag wiederum ist er – allerdings mit ähnlich mäßigem Erfolg – voll und ganz damit beschäftigt, Eigenheime am Stadtrand zu planen.

Um so mehr verwundert es, wo der Diepgen-Zögling die Zeit hernahm, seinen Erzrivalen, Peter Strieder, beim Planwerk Innenstadt über den Tisch zu ziehen. Mehr Straßen und weniger Bebauung in der Innenstadt als geplant – das ist ganz nach dem Geschmack des Senators aus Zehlendorf mit dem Stallgeruch eines Neuköllners. Foto: Archiv

Die Berliner Kulturschaffenden wollten Kultursenator Peter Radunski (CDU) auf der Stelle verhaften. Wegen Peinlichkeit in einem besonders schweren Fall. Auch die Studenten wollten das „Sparschwein Radummski“ zur Strecke bringen. Dann aber wurden ihm mildernde Umstände zuerkannt. Schließlich ließ er sich als V-Mann für Kultur und Wissenschaft anwerben, der in der Politszene gute Dienste leistete. Den Hauptausschuß des Parlaments nutzte er als Geldwaschanlage, um die Millionen aus der schmutzigen Metropol-Pleite in den Theaterkreislauf zurückzupumpen. Auch von der Bundesregierung nahm er, was er kriegen konnte. Mit dem Geld kaufte er die Intendanten, die er haben wollte. Sogar den rebellischen Claus Peymann machte er gefügig. Nur der eigene Staatssekretär Pufendorf widerstand der Korruption. Beinahe wäre der Deal mit dem Deutschen Theater daran gescheitert. Die Feuilletonisten ließen schon die Handschellen klirren, doch Radunski konnte noch einmal untertauchen. Sollten Sie ihm begegnen, seien Sie auf der Hut! Der Mann ist nicht so harmlos, wie er aussieht. taz