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Manischer Prediger

Tom Waits wirbelte am Wochenende im verlotterten Ostberliner Metropol-Theater jede Menge Staub auf: Haarklein so, wie man ihn sich vorstellt  ■   Von Susanne Messmer

Plötzlich hat das lange, gespannte Warten ein Ende. Das Licht geht aus, das Nebelhorngekrächze geht los. Von irgendwoher ertönen die ersten Strophen der Ouvertüre von „The Black Rider“, der Hamburger Inszenierung des „Freischütz“, für die Tom Waits 1990 das letzte Mal in Deuschland gewesen war. Er brüllt durchs Megaphon, das hört man gleich. Das Schlaglicht kreist im Raum, Trommelwirbel: Da ist er, irgendwo weit hinten im Zuschauerraum. Er kommt nach vorn auf die Bühne, auf ein kleines Podest, hüpft und stampft zu den Rhythmen wie ein Affe, immer eine Zehntelsekunde zu spät im Takt, fast wie ein motorisch Gestörter, gewollt ungelenk. Die Strophen bellt und preßt er wie ein manischer Prediger hervor. Es ist endlich soweit.

Die Legende, die nur wenige zuvor live gesehen haben, weil sie sich so elend rar macht, endlich ist sie leibhaftig zu bestaunen, im verlotterten Ostberliner Metropol-Theater. Alles ist sehr staubig hier, der Putz bröckelt von den Wänden, ein gefallener Ort der Hochkultur, von dem die Mächtigen nichts mehr wissen wollen, jetzt mit dem Flair einer freien Arena für jedermann, der ideale Ort für Tom Waits also. Und nicht nur das Metropol staubt: Auch Tom Waits berühmtes Megaphon aus der Pfandleihe für 29,90 Dollar, wenn er es mit der Faust schlägt. Aus allen Ritzen seines Podestes dringt bei jedem Satz der Staub: Der ganze Zuschauerraum wirkt vernebelt wie im kleinen, verqualmten Pub, in das Waits eigentlich gehört, müßten wir ihn nicht längst mit so vielen anderen teilen.

Tom Waits entspricht haarklein den Vorstellungen, die man sich so von ihm macht. Deshalb erscheint die Bühne wie durch einen Schleier, durch eine Milchglasscheibe getrennt, ganz unwirklich: Was sollte er sonst tragen als schäbige Arbeitsklamotten, zerknittert, einen zerknautschten Hut, keck in die Stirn gerückt? Die Hände in die Hüften, macht er einen Buckel wie der Baumwollpflücker, eine Körperhaltung wie ein Fragezeichen, eine Vogelscheuche. Er bewegt sich ruckartig, fuchtelt wild mit seinen großen Händen. Tom Waits ist einer der begabtesten Selbstdarsteller – ohne jemals einen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß es nur ein Image ist, das er da von sich verkauft. Es ist ein bis ins kleinste Detail durchkonzipiertes Bild, eines, das er nie verläßt, variiert oder auch nur ansatzweise karikiert. Es ist das des vagabundierenden Tagelöhners, des amerikanischen Hobos.

Auch im Film hat er immer wieder dieses Motiv aufgenommen: Ob neben Roberto Begnini in Jim Jarmuschs „Down By Law“ als heruntergekommener DJ Zach oder als halbverrückter Stadtstreicher neben Jack Nicholson und Meryl Streep in Hector Babencos „IronWeed“: Tom Waits gibt den verlorenen Großstadthelden, die „Barfly“, den abgewrackten Zokker, empfindsame Seele unter Wölfen, rauhe Schale, weicher Kern und so weiter.

Sicher wäre diese Beatnik-Bukowski-Kerouac-Kiste das Langweiligste der Welt, würde man sich immer nur fragen müssen: „Ist der Dreck unter seinen Fingernägel echt?“ Denn natürlich ist er es nicht. Die Frage nach Authentizität erübrigt sich. Es ist bedeutungslos, daß Familienvater Waits inzwischen den Whiskey aufgesteckt hat und dem Landleben frönt.

Die Rolle, die Waits spielt, hilft ihm einfach, von dem zu erzählen, von dem er erzählen will. Er ist der Hofnarr, der gelehrte Idiot, der Baron von Münchhausen, der sich seinem Gegenstand anverwandelt, um ihn greifbar zu machen. Sein Thema ist die viel menschlichere Schattenseite des amerikanischen Traums. Die Randgestalten, Nachtschwärmer im Schnellimbiß, chronisch Schlaflosen sind es, die ihn interessieren: Menschen mit Hautkrankheiten, Onkel Bill mit dem Tumor, so groß wie ein Ei, Huren mit Holzbein.

Nicht zufällig erinnert die Show an diesem Abend an die eines Wandertheaters, Waits an den skurrilen Boß einer Karnevalsband aus Lumpensammlern. Konfetti zaubert er sich hin und wieder aus der Jackentasche, wirft es sich wie der dumme August über den Kopf: „Hereinspaziert die Damen und die Herren. Ich werde Ihnen Dinge zeigen, die Sie sich nicht vorstellen wagten.“ Doch stellt er seine Figuren nicht aus wie auf dem Jahrmarktsrummel die Freakshows, die Kuriositätenkabinette ihre Zwergen, Riesen, Menschen ohne Unterleib: Menschen mit einem Defekt, die den Blicken der Sensationslüsternen ungeschützt ausgeliefert sind. Bei Tom Waits ist mehr Respekt im Spiel, er zieht den Hut vor seinen Helden, indem er sich ihnen anpaßt. Das ist Mimesis, Theater. All die Einwürfe zwischen den Songs, die Anekdoten von Feuerzeugen, so groß wie Wörterbücher, Bonbons, die die Bibel ersetzen: Er bringt wie der klassische Erzähler, wie der Hühner züchtende Ackerbauer und weitgereiste Seemann in einem die Kunde aus ältester Vergangenheit und weiter Ferne.

Das Publikum rast. Die Bühne wird umgebaut, ein Klavier ins rechte Schummerlicht gerückt. Tom Waits, der Alteisenhändler, der im Sperrmüll nach brauchbaren Zufallsinstrumenten fischt, weicht Tom Waits, dem Barpianisten. Die klapprige Katzenmusik pausiert, trampelige Songs wie „16 shells from a thirty-ought-six“, „Tango till they're sore“ und oder neuerdings „Filipino Box Spring Hog“ – auf dem aktuellen Album „Mule Variations“ haben erst mal ausgepoltert. Bizarre Unterwasserstücke, die sich zwischen Kabarett, Weillscher Schräglage, holpriger Polka und Simultangedicht aus der Rumpelkammer bewegen, werden abgelöst durch sanfte Balladen und Walzer. Das Tohuwabohu beruhigt sich etwas, die Wogen glätten sich, der schönste Moment des Abends: Nur noch Larry Taylor am Kontrabaß begleitet Waits. Es kommen nun die alten Songs, lyrische Liebeslieder. Endlich entspannt Waits, legt den Kopf schräg und singt „Innocent When You Dream“, von lieblichen Wiesen, Fledermäusen im Kirchturm und Rauhreif auf dem Moor im Lande der Pogues. Er wiederholt den Refrain wieder und wieder, fürs Publikum, das inzwischen lauthals mitsingt. Und plötzlich ist alles so schnell zu Ende, wie es angefangen hat. Trotz zweier langer Zugaben fehlen am Schluß so viele Lieder. Ob er jemals wiederkommt?

Waits bringt als Erzähler, Hühnerzüchter und weitgereister Seemann Kunde aus weiter Ferne

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