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Umziehende Ausländer im Visier

■ „Gute Mitbürger“ im Studentenheim fahnden per Plakat nach angeblichen Fahrraddieben und jagen Türken Polizei auf den Hals

Güner Kalafat ist umgezogen. Der türkische Familienvater mit zwei Kindern hat eine Wohnung in der Kottbusser Straße in Kreuzberg gefunden.

Sein Freund Ahmet Gürez half ihm am vorigen Donnerstag, die Habseligkeiten in der alten Wohnung im Studentenheim in der Köthener Straße zusammenzupakken und in einem Lieferwagen in die neue Wohnung zu transportieren. Bei der letzten Fuhre abends um halb zehn bemerkten die beiden Männer, daß sie aus dem oberen Stockwerk des Wohnheims mit einem Feldstecher beobachtet wurden.

Am nächsten Morgen stürmten neun Polizeibeamte in die Wohnung von Gürez' Schwester, der Halterin des Lieferwagens. Drei Stunden lang durfte sie weder telefonieren noch die Wohnung verlassen. Als Ahmet Gürez schließlich anrief, mußte sie ihn ohne Angabe der Gründe in die Wohnung bestellen. Kaum war er eingetroffen, da wurde er auf der Straße von vier Zivilbeamten festgenommen und in die Wohnung gebracht. Im Flur standen zwei weitere Polizisten, die übrigen warteten in der Wohnung.

Gürez konnte den Fall, der keiner war, zwar aufklären, doch er beschwerte sich, daß es wohl kaum eine Anzeige und einen solchen Polizeieinsatz gegeben hätte, wenn eine deutsche Familie umgezogen wäre. Der Einsatzleiter erklärte ihm, daß es sich bei denjenigen, die die Polizei gerufen hatten, um „gute Mitbürger“ handle, die ihre Augen in der Nachbarschaft offenhielten.

Die „guten Mitbürger“ hatten unterdessen Plakate gedruckt, auf denen der „Fahrraddiebstahl“ vermeldet wurde. „Das Kfz-Kennzeichen haben wir der Polizei mitgeteilt, so daß wir gute Aussichten haben, daß diese Arschlöcher erwischt werden“, hieß es weiter auf dem Plakat. Und man solle sich doch melden, falls man ein Fahrrad vermissen würde. Da es keinen Diebstahl gegeben hatte, meldete sich auch niemand.

Thomas Rudek, ein Sprecher der studentischen Selbstverwaltung in dem Wohnheim Hafenplatz, die für die Anzeige und das Plakat verantwortlich ist, sagte gestern zur taz, daß die Sache mit „Ausländerfeindlichkeit keinesfalls etwas zu tun“ habe. „Jeder ist ein Arschloch, der ein Fahrrad klaut“, sagte er, „egal welcher Nationalität.“

Rudek meinte, daß das Studentenheim zu 77 Prozent mit Ausländern belegt sei und man stolz auf das „Global Village“ sei. Den Polizeieinsatz finde er auch überzogen, fügte er hinzu. Er versprach, Plakate mit einer Richtigstellung und einer Entschuldigung aufzuhängen. Güner Kalafat und Ahmet Gürez wollen dennoch Verleumdungsklage einreichen. RaSo

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