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Der homosexuelle Mann ... ■ Von Elmar Kraushaar
... braucht die Anerkennung, will wahrgenommen sein. Dafür ist er dankbar wie für jedes nette Wort, jede Erwähnung in der Zeitung, Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben.
Auch wenn da der letzte Mist steht, alles Mumpe, lauter Mythen. Wie unlängst zur medialen Vor- und Nachbereitung des CSD. Da erinnerte beispielsweise die Welt wieder an „Zehntausende Schwule“, die in den Konzentrationslagern umgekommen sein sollen. Zwar stimmt die Zahl nicht, macht aber viel her. Gegen soviel aufpoliertes Schicksal klingt die ehrwürdige „Tagesschau“ ganz harmlos, wenn sie zur CSD-Geschichte zu berichten weiß, daß seit 30 Jahren an diesem Tag die Lesben und Schwulen zu fröhlichen Umzügen auf die Straße gehen. Da sind selbst die drei magere Sätze zu den Krawallen 1969 im New Yorker „Stonewall Inn“ nicht mehr hängengeblieben, die ansonsten doch noch das Gerüst für jede Paraden-Reportage hergeben.
Früher waren die Menschen davon überzeugt, daß homosexuelle Männer breitere Hüften haben, eine höhere Stimmlage und einen angeborenen Drang zur Verführung. Stereotype und Vorurteile gehen heute in eine ganz andere Richtung. Keine CSD-Berichterstattung kommt aus ohne den Hinweis auf den besonderen Reichtum der anderen. Dabei geht die Milchmädchenrechnung wie folgt: Schwule leben entweder allein, ohne weitere Verpflichtung, oder haben als Paar den doppelten Zugriff auf Spitzengehälter. Und weil ihnen ohne Kinder die Zukunft fehlt, hauen sie die viele Knete gleich und sofort auf den Kopf. „Ideale Konsumenten“, schreiben die Journalisten wörtlich, und auf dieser Annahme beruht der starre Blick der Zeitungen auf das entsprechende Anzeigenvolumen, wenn sie zum CSD inzwischen ihre Beilagen basteln.
Eine andere Legende dagegen hält sich noch aus der Zeit, als man die Homosexualität gerade mal erfunden hatte. In Meyers Konversations-Lexikon der Jahrhundertwende heißt es schon, daß „männliche Homosexuelle“ gerne zusammenkommen bei „gemeinsamen Vergnügungen unter der Maske von Karnevalsscherzen, Damenimitationen, Herrenabenden etc.“ Da ist quasi der CSD vorweggenommen, so wie ihn unisono alle Reporter heutzutage beschreiben. Vor dem Wechsel ins nächste Jahrtausend läßt sich diese Darstellung der Partyfreude als quasischwule Natur zünftig untermauern mit den passenden Stichworten von den Schwulen selbst: „Wir stellen von allen sozialen Gruppen das größte soziale Bürgerfest auf die Beine“, heißt so was in der Propaganda-Rhetorik des grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck.
Mit soviel Bürgerlichkeit, die sich in eine Reihe stellt mit Schützenfesten und Kirchweihen, ist jedoch das Ende der „leibhaften Subversion“ erreicht, von der Volkmar Sigusch noch vor zehn Jahren schwärmte, wenn er von den „Unsitten und der Maßlosigkeit“ im „bunten Treiben“ der Schwulen sprach. Eine Legende weniger, die aber sympathisch war. Mehr noch als die von den breiteren Hüften oder jene, die noch 1975 in der Berliner Morgenpost zu lesen war: „Wenn Homosexuelle nur Umgang mit Angehörigen ihres gleichen Geschlechts haben, verengt sich ihr Weltbild.“
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