: Der Allesfresser
■ Hemingway, kulinarisch: Zum 100. Geburtstag des geheiligten Biberschwanzfreundes Von Karen Schulz
Ich habe chinesische Seegurken gegessen, Bisamratten, Stachelschweine, Biberschwanz, Vogelnester, Seepolypen und Pferdefleisch“, zählt Ernest Hemingway bereits im zarten Alter von 24 Jahren in seiner Reportage Die wilden gastronomischen Abenteuer eines Gourmets auf. Ein Schriftsteller, der von bizarren kulinarischen Experimenten wie vom genießerischen Schwelgen so besessen ist, daß sich beides wie ein roter Faden durch seine Werke zieht, verdient eine besondere Biographie: Zu Hemingways heutigem hundertsten Geburtstag ist daher seine „kulinarische Biographie“ Wilde gastronomische Abenteuer erschienen.
Der erklärte Fan Piet Kistemaker rollt Hemingways Leben im Biographie-Stil von Anfang an auf und reichert den Lebensbericht mit Zitaten aus den Arbeiten des Autors an. So richtig kulinarisch wird's durch die vielen Rezepte, die entweder direkt aus des Meisters Feder stammen oder von Kistemaker den schwelgerischen Menü-Schilderungen und Kocherfahrungen Hemingways nachempfunden wurden. Das ergibt ein loses Strickmuster und einen neuen Leseansatz – Kochfans können sich durch die Rezepte hindurch „fressen“, während Anhänger des spröden Schriftstellers sich mehr an den Facts aus dessen Leben und den Zitaten delektieren.
Spröde gerät allerdings auch Kistemakers Stil: Er reiht unermüdlich Begebenheiten, Auslandsaufenthalte und Reisen aneinander, um einen Hintergrund für dessen Restaurantschilderungen aus aller Welt zu schaffen. Das gerät leider manchmal einseitig. Lustig wird es hingegen immer dann, wenn Döntjes aus dem Leben des Gourmets berichtet werden. So schildert Hemingway in einer vergnüglichen Reportage seine Erfahrungen mit den am Anfang erwähnten Seegurken: In einem chinesischen Restaurant in Kansas City begeisterte ihn ein Gericht namens Chow Mein so sehr, daß er spontan beschloß, einen Winter lang die gesamte Karte durchzuprobieren, auf der Suche nach etwas, das noch besser schmecken könnte. Chinesische Speisekarten sind lang – doch Hemingway bewies Durchhaltevermögen. Eines Tages schließlich erreichte er die Gerichte mit Seegurken, die immerhin eine halbe Seite einnahmen und ihn im späteren Leben bei der bloßen Nennung dieser Spezies erschaudern ließen... Obwohl Kistemaker geradezu akribisch jedes Zitat als Anlaß für ein Rezept nutzt, findet sich hier eine Leerstelle: Kein Seegurkenrezept wird den neugierigen LeserInnen unterbreitet, so als wolle man dem Seegurken-Opfer auch posthum nicht zu nahe treten.
Beim Stichwort „Hemingway“ denkt man eigentlich sofort an Alkohol: Zwar bleiben die LeserInnen bei der Lektüre nicht auf dem Trockenen sitzen, den sofort assoziierten Whisky findet man jedoch kaum. Statt dessen allerdings ausführliche Schilderungen vom Wein-Genuß, der die kulinarischen Berichte durchweg begleiten. Zu guter letzt wird auch Hemingways Begeisterung für Cocktails gewürdigt: Auf Kuba war er Stammgast in der Bar Florida, die sich mit der Erfindung des Daiquiri rühmt, und ließ sich selbst zum Mixen inspirieren: In der „Bodequita del Medio“ soll er seinen berühmten Cocktail Mojito erfunden haben – das Rezept wird natürlich mitgeliefert.
Wie feiert man den Geburtstag eines solchen Mannes? Mit einer Lesung? Mit einer Neuausgabe? Oder mit einem Menü? Alles in einem wird heute und morgen im Waldhaus Reinbek serviert: Dort liest Max Eipp aus Die Wahrheit im Morgenlicht, einer Serie von Reportagen aus Afrika, die jetzt aus dem Nachlaß veröffentlicht wird. Begleitet wird das ganze stilecht von einem dreigängigen Hemingway-Menü nach Rezepten aus der kulinarischen Biographie. Keine Sorge: Auf der Karte finden sich weder Seegurken noch Bisamratten, sondern, soviel sei verraten, als Hauptgang Bressehuhn in Riesling mit Trauben-Schalotten.
Piet Kistemaker: „Wilde gastronomische Abenteuer. Ernest Hemingways kulinarische Biographie“, Rowohlt, 1999, 188 S., 19,90 Mark. Ernest Hemingway: Die Wahrheit im Morgenlicht. Eine afrikanische Safari. Rowohlt, c.a. 460 S., 45 Mark.
Hemingway-Menü und Lesung: heute und morgen, 19.30 Uhr, Waldhaus Reinbek, Loddenallee, Infos und Reservierungen: Telefon 72 75 20
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