„Ich will Teil einer Gemeinschaft sein“

■  Richard Stallman fordert seit 15 Jahren, daß Computerprogramme mehr sein sollen als ein Geschäft für ihre Hersteller. Das freie Betriebssystem Linux setzt sich durch, aber das genügt dem Visionär einer befreiten Gesellschaft noch lange nicht

taz: 1984 haben Sie die „Free Software Foundation“ gegründet. Sie soll die Arbeit an Computerprogrammen nach den Regeln unterstützen, die sie in ihrem „GNU-Manifest“ aufgestellt haben. In diesem Text steht der schöne Satz, daß alle unsere Software so frei sein soll wie die Luft zum Atmen. Was macht freie Programme heute noch frei?

Richard Stallman: Es geht um die Freiheit der Benutzer, nicht um den Preis. Die Benutzer sollten bestimmte Freiheiten haben, etwa die Freiheit, ein Programm so laufen zu lassen, wie sie es möchten, nachzuvollziehen, wie es konstruiert wurde, es zu verändern und an bestimmte Bedürfnisse anzupassen oder Probleme zu beheben, die Freiheit, Kopien des Programmes weiterzugeben, so daß man mit seinen Mitmenschen kooperieren kann und schließlich die Freiheit, eine verbesserte Version des Programms zu veröffentlichen, um mitzuhelfen, eine Gemeinschaft zu errichten. All dies macht ein Programm erst nützlich.

Sind aber nicht auch die Programme der Software-Industrie ganz brauchbar ?

Man kann den Unterschied am besten an einem Kochrezept erklären. Ein Computerprogramm wird wie ein Rezept in einer bestimmten Reihenfolge von Schritten unter Einhaltung bestimmter Regeln ausgeführt. Dazu werden verschiedene Zutaten, also Eingaben, benötigt und am Ende kommt etwas Bestimmtes dabei heraus. Der Computer ist in diesem Fall der Koch. Wer kocht, tauscht und verändert Rezepte. Manchmal gibt man ein anderes als das Originalrezept an jemand anderen weiter, denn nicht jeder hat die selben Vorlieben oder Bedürfnisse. Jetzt stellen Sie sich vor, das Rezept sei unveränderbar in einen Chip eingebaut, und daß immer dasselbe dabei herauskommt, gleichgültig, was Sie haben möchten. Stellen Sie sich außerdem vor, daß man Sie einen Piraten nennt und ins Gefängnis steckt, weil Sie das Programm weitergegeben haben, um Ihrem Nächsten zu helfen haben. Das wäre eine sehr häßliche Welt. Das ist die Welt proprietärer Software, die Welt von Computerbenutzern, wenn sie keine freie Software benutzen. Wir versuchen, Computerbenutzern dieselbe Freiheit im Umgang mit Software zu geben, wie Köche sie mit Rezepten haben. Freie Software bedeutet also, daß man die Freiheit haben muß, Programme auf alle möglichen Arten zu nutzen und Teil einer Gemeinschaft zu werden.

Was für eine Gemeinschaft soll das sein?

Eine gemeinnützige Gemeinschaft, in der sich die Menschen helfen können. Der Unterschied zwischen einer wirklichen Gemeinschaft und einem Dschungel, in dem jeder jeden frißt, ist guter Wille, der Wille, anderen Menschen zu helfen, anderen Menschen einen Gefallen zu tun. Ich will Teil einer solchen Gemeinschaft sein. Wenn Software proprietär ist, wenn es einen Eigentümer gibt, der ihren Gebrauch einschränkt, dann können die Benutzer keine Gemeinschaft bilden. Sie werden voneinander abgegrenzt. Also ist der einzige Weg, eine funktionierende Gemeinschaft zu bilden, proprietäre Software nicht zu verwenden. In den frühen 80er Jahren war es aber unmöglich geworden, einen Computer ohne proprietäre Software zu betreiben. Alle Betriebssysteme waren proprietär. Wenn man also mit einem Computer arbeiten wollte, mußte man sich in Ketten legen lassen. So machte ich Pläne für ein Unix-kompatibles freies Betriebssystem und nannte es „GNU“.

GNU??

Der Name ist ein Programmiererwitz, er bedeutet „GNU is not Unix“. Er sagt, was es ist, indem er sagt, was es nicht ist. Es ist mit Unix kompatibel, was gut ist, und es ist nicht Unix, weil es von den Beschränkungen befreit, die AT & T diesem System auferlegt hat. Außerdem gibt es sehr viele Witze, in denen ein Gnu vorkommt. Bis 1991 hatten wir die meisten Teile des Betriebssystems fertig. Der einzig wichtige Teil, der noch fehlte, war der Kernel. Den schrieb Linus Torvalds und zusammen mit GNU hatten wir ein Betriebssystem.

Aber alle Welt spricht nur von Linux.

Das liegt an einem Mißverständnis. Linux ist eigentlich nicht viel mehr als der Kernel, den Linus Torvalds geschrieben hat. Wenn man also über das Gesamtsystem spricht, sollte man es GNU/Linux nennen, denn auf diesem Wege wird dem GNU-Projekt dieselbe Ehre zuteil, wie Linus Torvalds.

Von der Ehre allein kann niemand leben. Software-Entwickler wollen auch Geld verdienen.

Richtig. Aber was diese Leute wollen, ist nicht das einzig Wichtige in der Welt. Ich kann nicht verstehen, warum wir Gepflogenheiten zulassen, die eine große Auswirkung auf die Gesellschaft haben, nur um einige wenige zufriedenzustellen, die Geld haben wollen. Das ist hart für sie, aber sie haben nicht das Recht, uns die Freiheit zu nehmen. Warum sollte der Rest der Menschen sich darum kümmern, ob ein Programmierer sein Auskommen hat, oder nicht? Es gibt viele Dinge, die Menschen tun, ohne davon leben zu können. Sie machen Musik und können nicht davon leben, sie stehen auf der Strasse und tragen Gedichte vor, ohne davon leben zu können. Was macht man also? Man besorgt sich einen Job. Es ist keine Katastrophe, wenn ein Programmierer nicht von seiner Arbeit leben kann.

Warum soll er dann überhaupt an Software arbeiten?

Weil es Spaß macht. Man ist selbst derjenige, der beurteilt, wie das Programm auszusehen hat und nicht die Marketingabteilung. Ein anderer Grund ist politischer Idealismus. Menschen, die von der Philosophie freier Software hören, versuchen, ihren Teil zum allgemeinen Wissen der Menschheit beizutragen. Noch ein Grund ist Stolz oder Reputation. Wenn man ein gutes, freies Programm schreibt und tausende von Menschen es benutzen, dann fühlt sich das sehr gut an und man bekommt einen professionellen Ruf. Noch ein Grund ist, daß jemand Probleme beheben will, die er mit einem Programm hat. Dabei muß er nicht einmal in einer Software-Firma arbeiten. Er verbessert ein vorhandenes Programm und stellt es der Allgemeinheit zur Verfügung.

Reicht das aus, um genügend freie Software zu produzieren?

Das ist eine wesentlich interessantere Frage. Wir produzieren eine große Menge Software und die meiste Arbeit machen Leute, die dafür nicht bezahlt werden. Niemand braucht also Angst zu haben, wenn Firmen wie Microsoft, Lotus, Sun oder Adobe ankommen und sagen, „laßt euch in Ketten legen, sonst hören wir auf zu programmieren“. Wir brauchen diese Firmen nicht um jeden Preis, besonders nicht um den Preis der Freiheit. Außerdem gibt es Leute, die für freie Software bezahlt werden, das schließt sich nicht in jedem Fall aus. Es gibt eine Menge Firmen, die Support für freie Software verkaufen.

Das mag ein Grund sein, warum heute eher von „Open Source“ gesprochen wird, also von Software, deren Quellcode frei zugänglich ist. Wo ist der Unterschied zur freien Software in Ihrem Sinne?

Freie Software ist eine politische Philosophie, Open Source ist eine Entwicklungsmethodik. Die Bewegung der freien Software fragt sich immer auch, in was für einer Art von Gesellschaft wir leben wollen, Open Source beschränkt sich darauf, mächtige und verläßliche Software zu produzieren. Daran ist nichts Falsches, aber ich möchte vermeiden, daß dies die einzigen Werte sind, die in den Fragen der Software und der Freiheit herangezogen werden. Freiheit und Zusammenarbeit sind aus sich selbst heraus wesentlich. Selbst wenn wir nicht in der Lage wären, bessere Software herzustellen, sollte Software dennoch frei sein. Wenn wir aufhören, an die Freiheit zu denken, wenn wir nur noch daran denken, bequeme Software zu bekommen, dann ist es sehr unwahrscheinlich, daß wir überhaupt Freiheit erlangen. Wenn allein die Open-Source-Bewegung erfolgreich ist, besteht die Gefahr daß die Menschen vergessen, warum sie überhaupt entstand. Dann werden wir die Freiheit wieder verlieren, an der wir so hart gearbeitet haben.

Auf dem Kongreß „Wizards of OS“ in Berlin, haben sie Computer gesegnet, auf denen nur freie Programme laufen. Müssen wir wirklich die ganze Gesellschaft verändern, nur um besser mit diesen Maschinen leben zu können?

So grandiose Thesen, daß die freie Software jeden einzelnen Lebensaspekt ändert, will ich nicht aufstellen. Sie verändert das Leben nur in ihrem Bereich. Es gibt viele andere wichtige Dinge, die man veröffentlichen kann, um einen Beitrag zur Kultur und zum Wissen der Gesellschaft zu leisten. Wissenschaftliche Publikationen zum Beispiel. Wir sollten allerdings nicht glauben, daß dies die Probleme der Welt lösen könnte. Folter, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung werden nicht mit freier Software gelöst.

Welche denn dann?

Freie Software kann verhindern, daß ein Krieg um das Kopieren geführt wird. Ein Krieg um immer härtere Gesetze, die erlassen werden, um die Rechte der Öffentlichkeit an Publikationen immer weiter zu beschneiden. Menschen werden bestraft, nur weil sie ein paar Kopien mit ihren Freunden teilen. Es ist ein politischer Konflikt. Ich habe keine Ahnung, wie er ausgeht. Millionen von Menschen werden Entscheidungen treffen. Wenn sie Freiheit fordern, wird die Freiheit gewinnen.

Interview: Holger M. Klein

klein@flix.de

Stallmans Manifest: www.gnu.org/gnu/manifesto.html