: Die Panzer-Attrappen sicher im Visier
■ Wieviel militärisches Potential der jugoslawischen Armee die Nato während ihres mehrwöchigen Luftkrieges wirklich zerstört hat, ist immer noch unklar. Ein Nato-Expertenteam soll dieser Frage jetzt vor Ort nachgehen
Einen Monat nach dem Ende des Nato-Luftkrieges gegen Serbien ist die Frage weiter unbeantwortet: War die Operation „Allied Force“ militärisch ein Erfolg? Um Klarheit zu schaffen, beginnt in dieser Woche ein Nato-Expertenteam unter Führung des amerikanischen Oberst Brian McDonald mit Untersuchungen im Kosovo. Von 1.200 analysierten Einsätzen sollen vor Ort 325 Ziele ausgewertet werden. Die Truppe mit der Bezeichnung Kosovo Munitions Effectiveness Assessment Team“ (K-MEAT), zu deutsch: Team zur Abschätzung der Wirksamkeit von Waffen, wird nach McDonalds Worten „alle irreführenden Meldungen“ und „Propagandalügen der Serben“ ausräumen.
Bislang beharrt das serbische Regime darauf, die militärischen Erfolge der Nato seien „minimal“ gewesen und ohne strategischen Sinn. In einem von der Belgrader Regierung in diesen Tagen verbreiteten Weißbuch mit dem Titel „Nato-Verbrechen“ wird die Behauptung aufgestellt, die Bombardierungen seien willkürlich erfolgt, die Strategie der Nato sei es gewesen, „vor allem die Infrastruktur zu zerstören und die Zivilbevölkerung zu terrorisieren“.
Nach einem Bericht der serbischen Zeitung Glas vom vergangenen Sonntag sollen während des 79 Tage andauernden Nato-Luftkriegs nur 13 Panzer „verloren gegangen“ sein. Der Kommandeur der in Nis stationierten dritten jugoslawischen Armee, General Nebosja Pavkovic, wird in dem Blatt mit den Worten zitiert, durch die Bombardements „wurden nur sechs Panzer, sechs gepanzerte Truppentransporter, drei Artilleriegeschütze, etwa neun Luftabwehrkanonen und ein Dutzend weitere Militärfahrzeuge zerstört“. Wie die sieben anderen Panzer außer Gefecht gesetzt wurden, ließ Pavkovic offen. Möglicherweise gingen diese auf das Konto der kosovarischen Untergrundarmee UÇK, die allerdings nur über einige wenige panzerbrechende Waffen verfügte.
Im krassem Widerspruch zu den serbischen Angaben steht allerdings die Erfolgsbilanz, die die US-Armee zu Ende des Krieges am 9. Juni der westlichen Öffentlichkeit präsentierte. Damals bezifferte das Pentagon die Verluste der serbisch-jugoslawischen Sicherheitskräfte bei den über 35.000 Einsätzen von Nato-Bombern auf 122 Kampfpanzer, 222 Mannschaftstransporter und 454 mobile Artilleriegeschütze sowie Minenwerfer. Bis zu 6.000 Soldaten, hieß es bei den Nato-Pressekonferenzen, seien auf serbischer Seite ums Leben gekommen. So verkündete etwa Nato-Sprecher Jamie Shea am 8. Juni in Brüssel, tags zuvor seien bei der Bombardierung serbischer Truppen am Berg Pastrik durch einen einzigen B-52-Langstreckenbomber über 500 Soldaten getötet worden.
Erhebliche Zweifel an diesen Zahlen – wenngleich Beweise fehlen – sind angebracht. Obwohl es nun im Kosovo von Journalisten wimmelt, konnte noch kein Reporter diese Meldungen auch nur annähernd bestätigen. Am Berg Pastrik sind keine Spuren eines heftigen Nato-Bombardements zu finden. Wracks von zerstörten Panzern suchen die Berichterstatter vergebens, stoßen dafür aber auf zahlreiche zerstörte Attrappen.
Die ersten Journalisten, die mit den einziehenden britischen Truppen ab dem 11. Juni ins Kosovo gelangten, waren vor allem vom Verhalten der 47.000 Soldaten der verschiedenen serbisch-jugoslawischen Sicherheitsdienste überrascht. Diese machten keineswegs den Eindruck einer geschlagenen Truppe, und an den von der Nato festgelegten Rückzugsrouten nach Serbien wurden weitaus mehr Panzer, gepanzerte Mannschaftstransporter und Arilleriegeschütze gezählt, als nach Nato-Angaben noch hätten vorhanden sein dürfen. Damals kursierten Zahlen von 800 militärischen Fahrzeugen, davon mindestens 250 Kampfpanzern, 450 Panzerfahrzeugen sowie 600 Artilleriegeschützen, die die Serben ins Mutterland abzogen. Selbst drei unbeschädigte MiG-Kampfflugzeuge, die angeblich nahezu ungeschützt auf dem Rollfeld des Flughafens von Priština während des Nato-Angriffs gestanden hatten, flogen serbische Piloten zurück nach Belgrad.
Die Nato reagierte auf solche Presseberichte am 22. Juni mit einer Erklärung, in der das Bündnis einräumte, mehr Panzer-Attrappen und Scheinstellungen bombardiert zu haben als angenommen. Auf einmal wurde erklärt, serbische Einheiten hätten auf Feldern Plastikfolien ausgelegt, die von den Besatzungen der in meist über 5.000 Meter Höhe operierenden Flugzeuge fälschlicherweise als Straßen identifiziert wurden. Die Piloten hätten sich schon beim Einsatz gewundert, weshalb von den getroffenen Objekten keine Trümmer zurückblieben.
Trotz dieses Eingeständnisses blieb die Nato bei ihrer Version, Hunderte Militärobjekte „ausgeschaltet“ zu haben. Das habe für die serbische Seite den Ausschlag gegeben, nachzugeben und der Stationierung der KFOR-Friedensstreitmacht zuzustimmen. Belgrad dementiert bis heute diese Darstellung und behauptet, die Militärkraft der in Priština stationierten 3. Armee habe die Nato nicht gebrochen. Militärisch hätte man der „Nato-Aggression“ noch lange Widerstand leisten können. Belgrad räumt nur ein, daß die Nato durch ihre gezielten Treffer auf Ölraffinerien, Fabrikanlagen und Brücken die wirtschaftliche Infrastruktur schwer zerstört habe.
Britische Militärexperten der angesehenen Zeitschrift Jane's Defence vermuten, die westliche Allianz habe es bewußt nicht auf eine direkte Konfrontation mit serbischen Verbänden ankommen lassen, aus Angst vor deren Flugabwehrsystemen. Angriffe auf relativ ungeschützte Fabrikanlagen und Brücken seien dagegen bedeutend ungefährlicher gewesen. Ob das K-MEAT unter dem amerikanischen Oberst McDonald in den kommenden Wochen ähnliche Schlüsse ziehen wird, ist die Frage. Karl Gersuny, Wien
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