: Religiöse Zeitverschwendung
■ Sand und Haar: die äußerst sinnliche Kunst von Mariella Mosler auf Schloß Agathenburg
Tagelang streut Mariella Mosler an ihren Sandarbeiten. Die raumfüllenden Ornamente aus feinstem Quarzsand herzustellen, ist ein Exerzitium, eine geradezu religiöse Zeitverschwendung, wie sie auch bei buddhistischen Sandmandalas vorkommt. Und obwohl als eine der wenigen sinnlichen Arbeiten auf der theorielastigen letzten documenta X ausgestellt, entziehen sich solche Werke der Vermarktung: Unverkäuflich und nicht transportierbar werden sie am Ende zusammengefegt. Es ist schon nötig, sich an den Ort dieser Mühe zu bewegen. Und der liegt zur Zeit im Südwesten Hamburgs, im schönen Schloß Agathenburg. Dort ist in einem aus dem Zirkelschlag entwickelten Ornament mit floralen Anklängen der barocke Herrschaftssaal in leichtem S-Schwung ausgestreut.
Nebenan zeigt sich eine natürliche Spur für dieses besondere künstlerische Interesse der in Hamburg lebenden, norddeutschen Künstlerin: Fotos zeigen die Muster am Boden des Wattenmeeres. Zu den Formen, die Wind und Wellen entstehen ließen, kommt noch die Arbeitsleistung der Wattwürmer. Und der ästhetische Blick macht daraus das Paradoxon eines „zufälligen Ornaments“. Der genauen Konstruktion der künstlerisch entworfenen Formen, kommen die Besucher dann im dritten Raum mit den Zeichnungen näher.
Aber noch ein anderes Material benutzt Mariella Mosler für zeitaufwendige Feinarbeit: Menschenhaar. Dieser mit etwa einem Zentimeter pro Monat menschlich produzierte Stoff ist ein zentrales Thema der Kulturgeschichte und ebenso mit zahlreichen Tabus belegt. Das Haar frei wachsen zu lassen, galt als Zeichen der Kraft und der Freiheit, es lassen zu müssen und geschoren zu bekommen, als Unterordnung und Strafe. Als nachwachsender Teil des Körpers kann es auch als Liebesunterpfand abgegeben werden und über den Tod hinaus als Fetisch Verwendung finden.
Das von Mariella Mosler verwendete Haar ist aus Asien importiert: eine zusätzliche politische Aufladung, die aber für die Arbeit ebenso wie die Erinnerung an gewisse Praktiken der Nationalsozialisten kaum von Bedeutung ist. Denn vor allem geht es um die aufwendige Verzwirnung und Verflechtung zu ornamentalen Formen aus Geschichte und Natur. Klein und fein, mit einigen widerspenstig abstehenden Härchen schweben die Gebilde auf dünne Metallstifte gespießt vor der Wand: Geklöppelte und gehäkelte Seesterne, Rosetten und Schneeflocken, aber auch Quantenmodelle oder die Triskele, das aus archaischen Zeiten stammende Wappenzeichen Siziliens. Die philosophisch geschulte Künstlerin bietet Anlaß zu Gedanken über Zeit und Vergänglichkeit, läßt aber auch eine sanfte Kritik an der Kultur zu, in der sich Kunst als schönes Ornament des Alltags und als letztlich vergebliche Mühe darstellt.
Hajo Schiff
Schloß Agathenburg, Hauptstraße, Agathenburg (an der B 73 zwischen Buxthehude und Stade); Di – Sa, 14 – 18 Uhr; So, 10 – 18 Uhr, bis 15. August Katalog zu den Haararbeiten: 20 Mark; ein Folder zur Sandarbeit wird später erscheinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen