: Ein Jahr tolerantes Brandenburg
■ Landesregierung zieht Bilanz. Aktionsprogramm gegen Fremdenfeindlichkeit wird auf 3,5 Millionen Mark aufgestockt
„Noteingang. Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen Übergriffen“, signalisiert ein schwarzgelber Aufkleber in mehreren Sprachen. Seit dem vergangenen Sommer hängt der Sticker in verschiedenen brandenburgischen Städten an Rathaustüren, Schulen und Geschäften.
„Auf die Idee kamen Bernauer Jugendliche nach rassistischen Überfällen in ihrer Stadt“, sagt Robert Richter. Der Student gehört zu der Aktionsgruppe „Noteingang“, an der sich Jugendliche aus alternativen und kirchlichen Jugendzentren aus mittlerweile 13 Städten beteiligen.
Unterstützt werden die SchülerInnen und StudentInnen aus einem Programm der Landesregierung „Tolerantes Brandenburg“. Das wurde vor einem Jahr aufgelegt und soll das Image des Bundeslandes aufpolieren.
In Zeiten knapper Kassen stellt die Regierung von Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) 2,5 Millionen Mark jährlich für Projekte bereit, die Zivilcourage fördern sollen. Eine weitere Million Mark ist für die Umsetzung des Planes 1999 vorgesehen. Wie Stolpe gestern bei einer Zwischenbilanz sagte, will Brandenburg im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt künftig mehr gegen die sozialen Ursachen vorgehen. Seine Regierung wolle die Aktion „Tolerantes Brandenburg“ trotz „wöchentlicher Übergriffe“ konsequent fortsetzen.
Im Rahmen des Programms organisierte die Landesregierung Großveranstaltungen, Plakataktionen und -wettbewerbe sowie andere Initiativen. Mit der Ausarbeitung des Konzeptes „Tolerantes Brandenburg“ hatte die Landesregierung in Potsdam begonnen, nachdem 43 Prozent der Brandenburger in Umfragen ihre Neigung zu rechtsradikalen Ideen geäußert hatten.
Auch wenn der Großteil des Geldes in die Qualifizierung der Polizeiarbeit im Umgang mit rechter Gewalt geht, so bleiben immerhin Gelder übrig für Projekte wie den „Noteingang“. Nur sehr selten würden sich Gewaltopfer tatsächlich in die Läden mit dem Aufkleber flüchten, so die Erfahrungen der InitiatorInnen. Der Effekt des Aufklebers sei ein anderer. Er präge Stadtbilder und schaffe ein Gegengewicht zu dem rechten Mainstream in vielen märkischen Kommunen, so Student Richter. Damit rüttle der Sticker am Selbstbewußtsein der rechten Szene, die sich allzuoft als Vollstrecker des Mehrheitswillens verstehe.
Bei Bernaus Stadtvätern fand der Aufkleber allerdings keine Gegenliebe. Bürgermeister Hubert Handtke (CDU) lehnte die Bitte der jungen Leute ab, ihn an öffentlichen Gebäuden anzubringen. Der Aufkleber suggeriere, daß die Behörden den ganzen Tag erreichbar seien und daß in den Rathäusern Leute säßen, die Gewaltopfern helfen könnten. Außerdem bewerte er Opfer rechter Gewalt höher als andere Gewaltopfer, so seine Argumente.
Die Ablehnung rief in dem kleinen Städtchen nördlich von Berlin die SPD, die PDS und den städtischen Personalrat auf den Plan und entfachte eine öffentliche Diskussion über rechte Tendenzen. Darüber hinaus brachte sie den Initiatoren landesweit Publizität. Im Februar pinnte Schwedts Bürgermeister Peter Schauer (SPD) den umstrittenen Aufkleber an seine Rathaustür und gab den Schulen und Bibliotheken seiner Stadt ebenfalls grünes Licht.
Schauers Amtskollegen aus Frankfurt (Oder), Neuruppin und Fürstenwalde folgten seinem Beispiel. Robert Richter: „Jetzt hat sogar das Kulturministerium in Potsdam Aufkleber für das Ministeriumsgebäude bei uns bestellt.“ Die seien gerade mit der Post unterwegs. Marina Mai/dpa
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