: Skinheads fühlen sich von der Polizei gestört
■ Im Vergleich zum Vorjahr sind in Brandenburg bislang wenige Fremde von rechtsgerichteten Jugendlichen überfallen worden
Grüne Wälder, saubere Seen, Sonne pur. Warum soll der Berliner Großstädter weit reisen, wenn die Idylle direkt vor der Haustür liegt? Die Freude auf den Zelturlaub unter märkischen Kiefern wird nur durch einen Wermutstropfen vergällt: In den vergangenen Jahren kehrten einige Berliner Jugendliche von ihrem Ausflug nach Brandenburg mit einem blauen Auge heim.
So makaber es klingt: Man mußte nicht einmal eine dunkle Hautfarbe haben, um von rechtsorientierten Jugendlichen eins aufs Maul zu bekommen. Es reichte, ein „Fremder“ aus Berlin zu sein oder eine „großschnäuzige Bulette“, wie es im Volksmund heißt.
An der Haltung mancher Brandenburger hat sich nichts geändert. Aber wenigstens haben die brandenburgischen Sicherheitsbehörden aus den Vorkommnissen der vergangenen Sommer gelernt: Letztes Wochenende hat die Polizei vier Zeltlager mit insgesamt mehr als hundert Jugendlichen aufgelöst. Sie hatten sich an verschiedenen Seen im Berliner Umland am Lagerfeuer versammelt, reichlich Alkohol getrunken und rechte Parolen gegrölt.
Daß nicht mehr geschehen ist, liegt wohl am frühen Einschreiten der Beamten. In den vergangenen Sommern hatte sich die Polizei bei vergleichbaren Anlässen noch sehr zurückgehalten. Es kam daher zu zahlreichen Übergriffen auf Berliner Jugendliche, die sich mit ihrer Schulklasse oder mit Freunden zu einem Ausflug nach Brandenburg aufgemacht hatten. Ein dunkelhäutiger Schüler wurde an einer Bushaltestelle von einheimischen Jugendlichen zusammengeschlagen. Ein Berliner Abiturient, der an einem See gegrillt hatte, fand sich mit einem gebrochenen Nasenbein im Krankenhaus wieder.
Insgesamt wurden im Frühsommer vorigen Jahres 15 Zwischenfälle registriert – bei Tausenden von Berliner Ausflüglern, die nach Brandenburg fahren, ist das zwar eine verschwindend geringe Zahl, aber jeder Übergriff hinterläßt nicht nur bei den Opfern Spuren. „Ist Brandenburg für Fremde noch sicher?“ fragten die Medien.
Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehört Brandenburg zu den Bundesländern, in denen die meisten Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund je 100.000 Einwohner verübt werden. 1997 belegte Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern Rang 2. 1998 rutschte es auf Platz 4. Laut einer Trendmeldung des Verfassungsschutzes liegt Brandenburg in diesem Jahr wieder auf Platz 2.
Die schlimmste Tat geschah im vergangenen Februar, als 17 Jugendliche den Algerier Omar Ben Noui im brandenburgischen Guben in den Tod hetzten. Aus Furcht vor seinen Verfolgern hatte Ben Noui eine Glastür eingetreten, sich dabei die Knieschlagader aufgerissen und war verblutet.
Daß in diesem Sommer noch keine Berliner Ausflügler attakkiert worden sind, begründet der Sprecher des brandenburgischen Landeskriminalamtes, Peter Salender, vor allem mit „Glück“. Die brandenburgische Polizeisondereinheit Mega (Mobile Einsatzgruppe gegen Gewalt und Ausländerkriminalität) sei an der rechten Szene „sehr dicht dran“. Die bekannten Treffpunkte an den Seen würden auch vom Streifendienst regelmäßig angefahren. Um Entwarnung zu geben, sei es aber viel zu früh: „Der Sommer hat erst angefangen“, betont er. „Das Wetter hat automatisch mehr Taten zur Folge. Wenn sie genug Alkohol getrunken haben und sich im Dunklen unbeobachtet fühlen, legen sie los.“
Diese Erkenntnis veranlaßt die Polizei – wie am vergangenen Wochenende – dazu, die Zeltlager frühzeitig mit der Begründung „Gefahrenabwehr“ aufzulösen. „Sie wissen, daß wir sie im Auge haben und fühlen sich ganz erheblich gestört“, preist Uta Leichsenring, Polizeipräsidentin im nordöstlichen Brandenburg, das Konzept. Es lautet schlicht: „Wehret den Anfängen.“
Auch von unparteiischer Seite wird der Polizei ein gutes Zeugnis ausgestellt. „Sie agiert viel schneller als in den vergangenen Jahren, und die Sensibilität für das Problem ist wesentlich höher geworden“, stellt Wolfram Hülsemann fest, der das mobile Beratungsteam der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) leitet. Die RAA unterhalten zehn Büros in Brandenburg, machen Projektarbeit zu interkulturellen Themen und beraten in Gewalt- und Konfliktfragen.
Aber auch bei der Landesregierung und den Kommunen hat Hülsemann eine „Zunahme an Bewußtheit“ festgestellt, was rechtsextremistische Umtriebe angeht. Ein Beispiel ist das von der Regierung aufgelegte Handlungskonzept „tolerantes Brandenburg“ (siehe unten). „Die Bereitschaft ist wesentlich größer geworden, die Dinge nicht mehr zu verschweigen, sondern offenzulegen“, freut sich Hülsemann. Auffällig „dekkeln“ würden vor allem Thüringen und Sachsen. Leisten können sie sich das wahrlich nicht. In „Hitliste der Gewalttaten“ mit rechtsextremistischem Bezug liegen die beiden Länder bundesweit an dritter und vierter Stelle. Plutonia Plarre
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