■ Urteil gegen Herri-Batasuna-Leute war verfassungswidrig: Blamabel für Madrid
Seit gestern ist es offiziell. Die spanische Justiz mißt mit zweierlei Maß. Geht es um Politiker der ehemaligen Regierungspartei PSOE, die den Steuerzahler um Millionen betrogen haben, dann gilt: Bis das letzte Berufungsverfahren vor dem Verfassungsgericht abgeschlossen ist, gibt es Haftverschonung. Nicht so bei Politikern aus dem Umfeld der baskischen Separatistengruppe ETA. Der 23köpfige Vorstand von Herri Batasuna (HB) saß zwanzig Monate ab, bis höchstrichterlich bestätigt wurde, was viele von vornherein vermutet hatten: Das Urteil – sieben Jahre Haft für den Versuch, ein Video, in dem ETA auch noch ein Friedensangebot unterbreitet, auszustrahlen – ist nicht verfassungskonform.
Doch vor drei Jahren, als der Fall ins Rollen kam, interessierte das keinen. Mitten im Wahlkampf erschoß ETA in San Sebastian den Bruder eines bekannten sozialistischen Politikers und in Madrid einen der Verfassungsväter, den Juraprofessor Tomas y Valiente. Die Menschen gingen auf die Straße, weiße Hände hoch erhoben und skandierten „Basta ya!“ – „Schluß jetzt!“ Den durch Korruptionsfälle angeschlagenen Sozialisten kam eine Kraftprobe mit dem Umfeld der bewaffneten Separatisten gerade recht. Härte gegen ETA, das versprach Wählerstimmen.
Vergebens: Die konservative Partido Popular (PP) gewann die Wahlen. Auch sie machte weiter wie gehabt. Zuviel Haß hatte sich nach einer Mordkampagne gegen PP-Kommunalpolitiker angestaut. Umdenken wäre von vielen an der Parteibasis als Verrat verstanden worden. Das Verfahren gegen die HBler nahm seinen Lauf. Das Urteil des Obersten Gerichtshofes fiel mit sieben Jahren alles andere als mild aus.
Heute versuchen viele, die Inhaftierung der Linksnationalisten – und die Beugung des Rechtsstaates – im nachhinein zu rechtfertigen. Der Schlag der Justiz hätte ETA endgültig zum Waffenstillstand bewegt. Gewiß, diese Interpretation ist zulässig, auch wenn die Fakten auch andere Schlußfolgerungen zuließen. ETA suchte einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Deshalb das Video mit dem Friedensangebot. Und deshalb auch eine neue Mordserie, als Madrid sich stur stellte. Letztendlich verlor Madrid die Initiative. Der lange überfällige Waffenstillstand wurde im Baskenland selbst ausgehandelt. HB und die gemäßigten Nationalisten ziehen seither an einem Strang für mehr Unabhängigkeit. Madrid läuft hinterher. Eine juristische und politische Blamage, die mit etwas mehr Geschick hätte vermieden werden können. Reiner Wandler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen