Gräßliches Iberien

■ Ein Reiseführer warnt: Der Hispanier ist viel zu laut, raucht auch und überhaupt

Urlaubszeit, der Süden lockt, und plötzlich sind selbst notorische Miesepeter bis unter die Schädeldecke mit guter Laune gefüllt. Im Nu ist das Ränzlein geschnürt und der Flieger bestiegen – kaum aber hat man die ersten Schritte auf fremdem Boden gemacht, ist es mit der Fidelität schon wieder vorbei.

Bedauerlicherweise nämlich beträgt die Reichweite einer Sprache seit dem Turmbau zu Babel nur wenige hundert Kilometer, und eben deshalb hat man meist keine besonders guten Erfolgsaussichten, wenn man nach einer Grenzüberschreitung versucht, im heimatlichen Idiom ein großes kaltes Bier zu bestellen. Aus diesem Grund pflegen hilfreiche Menschen die Welt mit Sprachführern zu bereichern – Menschen wie Barbara Knoll, die sehr genau weiß, wie „unerläßlich die Fähigkeit, sich mitzuteilen“, ist. Infolgedessen hat sie „ihre profunden Sprachkenntnisse“ schon vor mehreren Jahren in das epochemachende Bändchen „Spanien walk & talk“ fließen lassen. Flugs haben wir die Seite 60 aufgeblättert, und nach einem launigen „una cerveza del barril“ steht das ersehnte Getränk vor uns auf dem Tisch. Danke, Barbara Knoll! murmeln wir selig, und ohne zu zögern widmen wir unserer Retterin den ersten Schluck.

Es ist indessen kein Wunder, daß Barbara Knoll sich im Spanischen so blendend auskennt. Schon 1959, im Alter von gerade mal 15 Jahren, hat sie laut Kurzbiographie die erste Visite jenseits der Pyrenäen gemacht, und diese Reise wurde „lebensbestimmend“ für sie. Mithin ist ihre iberologische Bildung auch nicht auf die Sprache beschränkt. Mindestens ebensogut – wie wir den „Praxistips“ entnehmen, mit denen sie Land und Leute charakterisiert – weiß sie über die Seele des Hispaniers und die Landschaft der Halbinsel zwischen Atlantik und Mittelmeer Bescheid. Sie weiß, daß man abseits der Strände auf „urweltliche“ Gegenden stößt, und will uns damit vermutlich sagen, daß man sich nicht wundern sollte, wenn man an einer einsamen Straßenkreuzung auf einen fröhlichen Brontosaurus oder andere Vorzeitbewohner trifft. Auch klärt sie uns darüber auf, daß der Spanier zur Gattung der „lauten“ Mitkreaturen zählt und deshalb das Land „in seinem bevölkerten Teil ein ungeeignetes Ziel für lärmempfindliche Besucher“ ist.

Nicht gerade angenehm findet Barbara Knoll überdies, daß der Iberer praktisch pausenlos schmökt. „In jedem Nichtraucher-Abteil sitzt mindestens einer, der ungeniert raucht ... Selbst beim Arzt kann es passieren, daß dieser zur Behandlung nur kurz die Zigarette beiseite legt.“ Wie unvernünftig! Wie empörenswert!

Leider ist damit die Liste der beklagenswerten Umstände noch nicht abgeschlossen. Z. B. braucht man nicht darauf zu hoffen, daß der Spanier seine „Versprechungen“ einhält. Auch hat er einen so furchtbar anderen Zeitbegriff, daß man ein Proviantpaket mitnehmen sollte, wenn man „mal schnell zum Geldwechseln“ geht.

Am gräßlichsten aber ist, daß „geschriebenes Recht und Rechtswirklichkeit erheblich auseinanderklaffen“. Und eben darum – das muß aus Barbara Knolls Ausführungen gefolgert werden – sollte sich jeder sehr genau überlegen, ob er wirklich ins Land der Spanier reisen will. Denn eine solche Tour verkraften eigentlich nur unerschrockene Missionare, die ein heiliges Ziel verfolgen: nämlich den Iberer dem Zivilisationsstandard der modernen Welt anzupassen, ihm Pünktlichkeit, Verläßlichkeit und Zimmerlautstärke einzubimsen und ihm vor allem endlich die widerliche Qualmerei abzugewöhnen. Joachim Schulz

Barbara Knoll: „Spanien walk & talk“. München 1996