: In Nigeria vertiefen sich die Gräben
Erst wurden Nordnigerianer im Süden Nigerias gejagt, dann Südnigerianer im Norden. Nach einer Woche der Gewalt mit über 100 Toten fürchtet Nigeria um seine ethnische und religiöse Stabilität ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Eigentlich war ein Hund schuld. Weil er bei einer Prozession während des alljährlichen Oro-Festes des Yoruba-Volkes so laut bellte, ging die Haussa-Frau neugierig auf die Straße. Weil Frauen und Kinder und überhaupt Nichtteilnehmer am Oro während des neuntägigen Festes nicht auf die Straße gehen sollen, wenn nachts die rituellen Säuberungsprozessionen mit Masken und Tieren stattfinden, wurde die Frau brutal von Yoruba-Jugendlichen zusammengeschlagen und starb.
Weil sich die südnigerianischen christlichen Yorubas und die nordnigerianischen muslimischen Haussas nicht ausstehen können, führte dieser Vorfall in der südnigerianischen Stadt Sagamu Anfang letzter Woche zu tagelangen ethnischen Unruhen, die über 100 Tote forderten und im Stadtviertel Sabo, wo Haussas wohnen, schwerste Schäden anrichteten. Weil daraufhin Haussas, die im 300.000 Einwohner zählenden Sagamu ihr Eigentum und fast ihr Leben verloren hatten, in Nordnigerias größte Stadt Kano flohen, gingen schließlich dort bewaffnete Haussa-Jugendbanden auf die Jagd auf Südnigerianer. Und nur weil es zu regnen begann, gingen sie am Wochenende wieder nach Hause, als vermutlich bereits neun Menschen ums Leben gekommen waren.
Es waren die schwersten Auseinandersetzungen zwischen Nigerias beiden größten Ethnien seit vielen Jahren. Yorubas und Haussas sind verfeindet, seit es Nigeria gibt. Aus Yoruba-Sicht wird Nigeria zu Unrecht von der mächtigen Haussa-Elite des Nordens dominiert. Aus nördlicher Sicht versuchen die Wortführer des Südens, Nigeria ethnisch zu spalten. Jeder Funke, der sich an diesen Reibereien entzündet, gefährdet das prekäre politische Gleichgewicht im Vielvölkerstaat Nigeria.
Zwar versuchen in Sagamu die traditionellen Führer jetzt, die Gemüter wieder zu beruhigen. Die langansässigen Haussas hätten an den Unruhen nicht schuld, beschwichtigte der höchste Yoruba-Führer – es seien „Prostituierte und Herumziehende“ gewesen. Sein Haussa-Gegenpart wiederum machte „Hooligans und Gangster“ für die Gewalt verantwortlich.
Aber gerade daß es so viele Jugendliche gibt, über die traditionelle Führer keine Kontrolle mehr haben, macht Nigeria heute zu einem so explosiven Land. In Sagamu metzelten Stoßtrupps ihre ethnischen Feinde mit Macheten nieder. Bereits als im vergangenen Jahr der Yoruba-Milliardär Moshood Abiola, dessen Wahl zum Präsidenten 1993 vom Militär annulliert worden war, in der Haft starb, töteten militante Yorubas in Lagos Dutzende nordnigerianische Händler. In Kano wiederum, klagte jetzt der Verband der christlichen Kirchen Nigerias, hätten die Behörden kürzlich fünf christliche Kirchen zerstört.
An Pogromen zwischen Nord- und Südnigerianern entzündete sich bereits 1966 ein Bürgerkrieg mit über einer Million Toten und einer gescheiterten Sezession des Südostens. Heute, unter der Herrschaft des Yoruba-Präsidenten Obasanjo, sind es Kräfte im Norden, die sich von Nigeria wegwünschen. So plant der Gouverneur des nordwestlichen Bundesstaats Zamfara, Alhaji Ahmed Sani, in seinem Staat die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts. Das wäre ein Verfassungsbruch und eine bewußte Infragestellung der Einheit Nigerias. Die Haussa-Milizen in Kano jagten nach eigenem Verständnis „Ausländer“.
Daß Streit um Religion so einen zentralen politischen Stellenwert in Nigeria einnimmt, liegt daran, daß nach Jahrzehnten des Niedergangs die religiösen Gemeinschaften die einzigen noch funktionierenden Institutionen des Landes sind. Und der Trend verstärkt sich. So will Präsident Obasanjo die Schulen des Landes, die er selbst in den 70er Jahren verstaatlicht hatte, an die christlichen Kirchen zurückgeben, die sie einst gegründet hatten. Für muslimische Führer, die kein vergleichbares Bildungswesen aufgebaut haben, ist dies eine weitere Schwächung.
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