Ghetto-Kleider

■ Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz

„Wir bestätigen dankend die durch Ihren sehr geehrten Herrn Fischer überbrachten 18 schottischen Kleider und sind mit dem Ausfall zufrieden. Wir möchten Sie aber noch mal bitten, bei der Anfertigung der weiteren Kleider unbedingt darauf zu achten, daß sämtliche Schottenkleider so geliefert werden, wie die Vorlieferung der 18 Stück.“ Der Adressat des Schreibens der Firma Bärbel – „Alleinherstellerin der gleichnamigen Kleider“, wie es im Briefkopf heißt, ist keine gewöhnliche Schneiderei, sondern das Ghetto Lodz in der Nazizeit.

Gefunden hat das Schreiben der Historiker Peter Klein im Archiv der Stadt Lodz, wo es neben zahlreichen Briefen anderer führender Textilunternehmen, aber auch von Karstadt, Leineweber und Neckermann, lag. Fast alle Kunden gaben in ihren Briefen dem Wunsch Ausdruck, „daß Sie wie besprochen laufend für mich arbeiten und auch schnell liefern“.

Die NäherInnen waren oft schon tot, als die modebewußten BerlinerInnen mit den Kleidern durch Berlin flanierten. Das Ghetto Lodz war für über 440.000 Juden die Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager.

Das Haus der Wannseekonferenz präsentiert in einer Sonderausstellung die von dem Historiker Peter Klein gesichteten „Spuren aus dem Ghetto Lodz 1940 bis 1944“. Zensierte Briefe und Postkarten sind dort ebenso ausgestellt wie die als Geldersatz dienenden Quittungen. Der Gebrauch des Geldes war im Ghetto von den Nazis verboten worden. Die Ausstellung straft die Zweckbehauptung vieler Deutscher nach 1945 Lügen, sie hätten von alledem nichts gewußt. Nicht nur die führenden Modehäuser des Reichs profitierten von den billigen Arbeitskräften im Ghetto. Über 4.000 Juden aus dem Ghetto Lodz mußten für die Wehrmacht arbeiten. Auch nahezu alle Firmen, die an dem Autobahnbau Frankfurt (Oder) – Posen beteiligt waren, haben sich dafür Arbeitskräfte aus dem Ghetto ausgeliehen. Schließlich waren die Insassinnen fleißige ArbeiterInnen, denn sie hofften, so ihr Leben zu retten. Meist aber konnten sie ihre Deportation ins KZ nur etwas hinausschieben.

Ähnlich wie die von dem Düsseldorfer Historiker Wolfgang Dreßen im Frühjahr 1999 veröffentlichten Akten aus den Finanzbehörden, die den Eifer dokumentieren, mit dem „arische Deutsche“ Wertgegenstände ihrer deportierten jüdischen Nachbarn ersteigerten, zeigt auch die Berliner Ausstellung, wie nicht nur die Konzerne, sondern ein Großteil der Deutschen aus der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung im NS-Staat seinen Vorteil zog.

Anders als die vieldiskutierte Ausstellung von Dreßen sorgt die Berliner Exposition bisher kaum für öffentliches Interesse. Das liegt vielleicht an der nüchternen Präsentation in einen recht kleinen Raum: Das exakte Studium der einzelnen Dokumente wird auf diese Weise nicht gerade erleichtert. Peter Nowak

„Spuren aus dem Ghetto Lodz“ (Sammlung Haney). Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, Am Großen Wannsee 56–58, Zehlendorf, Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Sa./So. 14–18 Uhr