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Achten Sie beim Fleischkauf auf die Etikette!

■ Sonderbare Assoziationsketten: Lebensmittelinstallationen und mehr von Sascha Kürschner

Zweihundert Kilo Würfelzucker braucht es für die Installation des Berliner Künstlers Sascha Kürschner. Auf dem Boden der Galerie Jensen ist bunt eingefärbt und lockend süß das große A in Fraktur ausgelegt, das allbekannte Apothekenzeichen. Die Arbeit heißt Pursuit of Happiness, und Glück verspricht sie gleich sechsfach: Im zitierten Satz der US-amerikanischen Verfassung, auf dem an der Wand vergrößerten Kassenzettel über 398 Mark mit dem Firmenmotto „Prima leben“, in der normalen biologischen Wirkung des Zuckers auf das Gehirn, dazu auch in ihren quietschbunten Farben, möglicherweise sogar mittels der mit dem Zucker zusammen eingenommenen Drogen und darüber hinaus im Verweis auf die übrigen Versprechungen, die sich in jeder Apotheke zur Verfügung halten.

Der Künstler, vom Akademiestudium her eigentlich Maler, hat zudem die Wände mit Kassenbons, Warenaufklebern und Preisschildern gespickt. Doch was da der ekelig alltäglichen Supermarktwelt entstammt, ist nicht hochkopiert oder am Computer produziert, sondern auf Polyesterfolie gezeichnet. Dabei wird der „grüne Punkt“ zum Sehnsuchtspunkt und „Herz in Stücken“ bekommt einen ganz anderen Beigeschmack. Kürschner gelingt es, im Wort Kassenbon den Bestandteil bon (= gut) aufscheinen zu lassen und bei „Fleischetikette“ über den zweiten Wortteil die Umgangsformen zu befragen, die beim alltäglichen Einkauf zwar kulturprägend sind, dennoch aber kaum wahrgenommen werden.

Was anderen Galerien ein zusätzliches Kabinett ist, ist hier in der alten Markthalle die Empore: Ein Raum über dem Eingang, der eine zweite, kleine Präsentation ermöglicht. Diesmal ist der luftige Raum dem Luftraum gewidmet und zeigt Fotos von Kondensstreifen. Seit dem Beginn des Jet-Zeitalters um 1958 beflecken den Himmel die weißen Spuren. Manche empfinden den einst göttlich klaren Himmel dadurch wild durchpflügt und schwer verletzt, andere sind erfreut über die ästhetisch artifiziellen Muster, den meisten ist es schlicht schnurz, und der Hamburger Fotograf Enver Hirsch richtet seinen Kamerablick darauf. Mag die durchkreuzte Bläue seiner Bilder auch hübsch und assoziationsreich sein, neu und originell ist sie wahrlich nicht.

Hajo Schiff

Galerie Jensen, Galeriehaus Hamburg, Klosterwall 13; Mi – Fr, 12 – 19; Sa, 11 – 16 Uhr, noch bis 21. August. Infoheftchen: 10 Mark. Sascha Kürschner gibt zudem seine Ausstellungen auf CD-Rom heraus.

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