Dogma heißt jetzt Twix

Anschwellender Theoriesound, Heavy Metal unter Skibrillen: Weil Christoph Tannert sich über Berliner Clubkunst ärgert, hat er im NBK eine Ausstellung mit jungen Malermeistern zusammengestellt  ■   Von Harald Fricke

Auf einmal will keiner dabeigewesen sein. Letztes Jahr waren Ausstellungen ohne DJ-Set und Multimedia-Bereiche nicht zu denken. Statt Galerien suchte man nach Locations im Off, und selbst im Hamburger Bahnhof sah es zur Eröffnung von Pipilotti Rist wie auf einem Rave aus. In diesem Sommer kam nur noch die Relaunch-Party in den Kunst-Werken mit Dancefloor daher.

Wer Kontextkunst betreibt, hofft jetzt auf einen Beraterposten in der Kulturpolitik oder flüchtet lieber gleich in die Dienstleistungsbranche; wer mit Urbanismus-Bauklötzchen herumspielt, darf vielleicht bei Klaus Biesenbachs „Children of Berlin“-Spektakel in New York mitmachen. Der Rest hat sich ins Atelier verkrochen und malt wieder Öl auf Leinwand, um nicht „im Dideldadeldödeldü“ zu enden. So sieht es zumindest Christoph Tannert, der das Stipendiatenprogramm am Künstlerhaus Bethanien leitet und derzeit für „Ortsbegehung 5“ eine Ausstellung mit drei jungen Malern im Neuen Berliner Kunstverein kuratiert. Denn Tannert ist wütend über die „Pubertätsperspektive“, mit der in Berlin Kunst als „Tourismus-Marketing“ im Fahrwasser einer gesamtgesellschaftlichen Love Parade promotet wird. Deshalb soll Kunst eine Verbindlichkeit im Umgang mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit zurückerhalten – was laut Tannert allein die gemalten Bilder vermögen, weil sie „das Visuelle neu im Kontext der technischen Bilder“ durchleuchten.

Diesen anschwellenden Theoriesound hat er sich beim Österreicher Peter Weibel abgeschrieben, der 1991 schon die Malerei wiederentdeckt hatte. Aber auch Ausstellungen wie „Der zerbrochene Spiegel“ zuerst in Wien und dann in Hamburg (1994) zeigen, daß die Leinwand fürs künstlerische Recycling längst abgegrast ist. Deshalb fährt Tannert zweigleisig: Neuere Tendenzen der Malerei, die Medien wie etwa Fotografie integrieren, lehnt er strikt ab, weil damit doch bloß Begriffe verwirrt werden. Das ist für ihn der GAU des Genres – „Malerei bis zum letzten ästhetischen Atom unberechenbar“. Dagegen sieht er bei den drei von ihm für den NBK ausgewählten Malern eine „eiserne Ration Schlichtheit“ am Werke, fast wie bei den „Dogma“-Filmern. Der Unterschied zu den Dänen ist nur: Während Lars van Trier oder Thomas Vinterberg mit einfachen Mitteln sehr direkte zwischenmenschliche Geschichten erzählen, stapeln sich zur „Ortsbegehung 5“ die klassischen Themen der Malerei vom Porträt bis zum Stilleben und von der Landschaft bis zum abstrakten Allover. Es ist ein bißchen wie mit Heavy Metal Ende der achtziger Jahre. Damals wurde plötzlich Metallica als Innovationsschub an der Gitarre verkauft, während das schnöde Genre des Hardrock die Zeit von Punk, HipHop oder Elektronik recht unbeschadet überlebt hatte. Was Tannert jetzt als neue Ernsthaftigkeit verkaufen will, ist nicht weniger abgehangen – kräftig aufgetragene Farben, die neben den auseinanderdriftenden Popkulturen um so heller strahlen sollen. Bislang war diese Strategie allerdings eher auf seiten der Reaktion beliebt. In der Ausstellung jedenfalls spiegelt sich der Aufbruch in ein besseres Verständnis der Realität kaum. Eberhard Havekost malt für „Snow Lounge“ zylindrisch gebogene Gesichter von jugendlichen Skifahrern, deren melancholisch kühler Blick die Entenhaftigkeit der Darstellung kaum kaschieren kann. Jeder Lichtpunkt ist genau gesetzt, jede Graustufe sanft in die Fläche getaucht. Atmosphärisch bleiben die Porträts allerdings weit hinter den betont flachen 70-er-Jahre-Parodien eines Martin Kippenberger zurück. Havekost bemüht sich um ein gestyltes Äußeres und durfte dafür auf der Messe in Basel gleich die ganze Koje seiner Galerie ausverkaufen.

Auch bei Thomas Scheibitz bleibt unklar, ob der formale Zuschnitt seiner neokubistischen „Schaufenster“ nicht hinter die lockere kalifornische Art, Architekturzitate und geometrische Flächen ineinanderzuschieben, zurückfällt. Ornament und Abstraktion schaffen bei ihm keine „unübersehbar komplexe Struktur“, wie Barry Schwabsky im Katalog behauptet, sondern schichten sich übereinander, wie man es an der Akademie – wie seine beiden Kollegen studierte Scheibitz in Dresden – lernt. Tatsächlich fehlt das Moment, wo sich Malerei gegen die formale Ordnung auflehnt und einfach ist, was sie ist – Farbe auf einem monotonen Grund. Zuletzt bleibt eine Reihe mit Bleistiftzeichnungen von Frank Nitsche übrig, bei der man doch noch staunt, wie leicht die verwirrende Geometrie der Dingwelt mit der Vielfalt von Perspektiven einhergeht. Wer kann schon imaginäre Gegenstände falten? Die ungeheuer eleganten Grübeleien am Objekt hängen hinten links in der Ecke des Ausstellungsraums. Auf dem Weg dorthin riecht es nach frischer Firniß. Wie früher.

Bis 22. 8., Di. – Fr. 12 – 18, Sa./So. 12 – 16 Uhr, NBK, Chausseestraße 128/129