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Klassiker des Schmutzes

Von seinem Vater erbte Chris Peckings Berge von Studio-One-Vinyl und macht es für die Nachwelt zugänglich  ■ Von Nils Michaelis

Worte wie in Stein gemei-ßelt: „Es ist ein unbestreitbarer Fakt, daß es Reggaemusik wie wir sie heute kennen, ohne die Vision und die Arbeit von Clement Seymour Dodd nicht gegeben hätte.“ Die Encyclopedia of Reggae will sich bei der Beschreibung des Stellenwerts des legendären Produzenten offensichtlich nicht lumpen lassen. Dodds Label, Studio One, wurde in der Tat zum Markenzeichen für Produktivität und Qualität und hat sich hierzulande eine engagierte Fangemeinde erspielt. Ska und Rock Steady aus dem Hause Studio One gehören zur Sorte Musik, die in jenen Momenten entsteht, wenn die Regel „es-darf-nichts-kosten“ auf hochkreative Jungtalente trifft.

Dodd war ständig auf der Suche nach Entwicklung und als emsiger Förderer unbekannter Künstler bekannt. Aus gutem Grund, denn die Veröffentlichung von Reggaeplatten läßt sich aus der Produzentensicht wie ein Schuß mit der Schrotflinte beschreiben: Je größer die Zahl der Veröffentlichungen ist, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eines rentablen Treffers. Mit dieser Eigendynamik widerstrebt die Produktionsweise des Reggae der europäischen Suche nach dem zeitlosen und archetypischen Klassiker.

Die schmutzige Verbundenheit mit dem Jetzt ist sein Metier. Was am Ende natürlich nicht verhindert, daß es dann doch immer wieder zu Klassikern kommt – Klassikern des Schmutzes sozusagen. Eine Musik, die vom Blick nach dem Letzten und Neuesten lebt, die so sehr mit dem Hier und Heute verbunden ist, läßt so unglamouröse Tätigkeit wie die des Archivierens schon mal vergessen. Zumal im Jamaika der späten Sechziger und frühen Siebziger nur die wenigsten auf die Idee kamen, daß in kommenden Jahrzehnten ein überseeisches Interesse an dieser Musik entstehen könnte.

Chris Peckings Jr. hatte in dieser Hinsicht Glück. Als Sohn des 1994 verstorbenen George Peckings erbte er eine der größten Sammlungen von Studio One-Platten. Peckings senior hatte 1974 in London eines der ersten auf Reggae spezialisierten Plattengeschäfte eröffnet und versorgte zunächst die Community der nach England emigrierten Jamaikaner mit Musik. Vater Peckings wuchs selber in Jamaika auf und war dort eng mit Clement Dodd befreundet – ein sattelfester Experte also, der im fernen London mit seinen first hand informations selbst ein wenig legendär wurde: In den Linernotes des Rock Steady-Samplers A Tribute to Peckings erinnerte sich Reggae-Radio-Dj David Rodigan mit Respekt an die Entwicklungshilfe, die der alte Peckings in seinem Geschäft zu erteilen pflegte.

Heute führt Sohn Chris den Familienbetrieb fort. Ein wenig lichtscheu wie er ist – eine unter Sammlern nicht seltene Marotte – vermeidet er die Öffentlichkeit und geizt mit Auftritten außerhalb der Insel. So ist es den Überredungskünsten und dem Enthusiasmus des Reggaefachhändlers und Studio One-Nerds von Hans Peters (Selekta) zu verdanken, daß sich Chris Peckings zum nunmehr zweiten Male nach Hamburg begibt.

Dann werden sie wieder in der Markthalle sein, der Geist des Clement Dodd und die alte Rivalität, die zwischen ihm und dem anderen großen Konkurrenzunternehmer des Reggaebusiness der Sechziger bestand: Duke Reid und seinem Label Treasure Isle. Ex-Polizist Reid, der auch als Reggaeproduzent sein Haus nur mit einem geladenen und vor allem gut sichtbaren Revolver zu verlassen pflegte, bildet nämlich den zweiten Sammelschwerpunkt des Peckingschen Imperiums.

Bei allen Unterschieden: Rauhbein Reid und Geschäftsmann Dodd waren vereint in einem echten Enthusiasmus für ihre Musik. Und nie war sie so wertvoll wie heute.

mit Duke Neville, Scorcha Hifi: Fr, 30. Juli, Upper Level der Markthalle, 22 Uhr

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