: Erhabenheit des Banalen
Insight out – Landschaft und Interieur als Themen zeitgenössischer Fotografie zeigt Wiesen als Konstrukt ■ Von Hajo Schiff
Gegenüber dem Eingang gibt das älteste gezeigte Bild das Thema der Ausstellung vor: Dan Grahams 1967 fotografierter Blick aus dem Fenster eines neuen Highway-Restaurants auf die häßlichen Straßen von New Jersey zeigt, daß Innen und Außen ein selten allein auftretendes Paar sind. Jedes Bild, gemalt oder fotografiert, ist wie ein Blick aus dem Fenster. Doch heute kann die Aussicht dahinter auch nur ein anderes Fotoposter sein.
Der Blick auf heutige Landschaft wird in der aus Innsbruck übernommenen Fotoschau im Kunsthaus kombiniert mit dem oft absonderlich arrangierten Interieur und seinen Details. Dabei lieben es die dreißig ausgesuchten Fotografen mit ihren meist aus den neunziger Jahren stammenden Bildern eine Erhabenheit des Banalen zu produzieren: Häufig zeigen sie ihre Orte menschenleer.
In dieser höchst unterschiedlichen Auswahl ist das Verbindende der Aspekt der Organisation von Raum. Und die ist im großen Draußen und im kleinen Drinnen strukturell ähnlicher, als auf den ersten Blick vermutet: Berge, Bäume, Blumen, Bastelecken, Babysachen, Baumärkte und Bildarchive selbst werden Beispiele für die Besetzung der bewegungslosen Bilder mit beliebigen, aber jeweils bindenden Ordnungsvorstellungen. Zudem funktioniert jedes Bild als Auslöser für eine potentiell unendliche Assoziationskette. Wenn etwa Andreas Gursky die Uni Bochum so poetisch fotografiert, wie die Säulenhalle der Schule von Athen bestätigt sein Vergleich, daß jedes Bild immer über es selbst hinaus an das universale Bildgedächtnis appelliert.
Überraschend ist Edwin Zakmans schwarz-weißes Luftfoto eines holländischen Autobahnkreuzes nahe des Meeres. Das Großfoto einer typischen Industrielandschaft im Gegenlicht entpuppt sich beim genauen Blick als Aufnahme eines Modells. Der Künstler offenbart dazu schalkhaft-philosophisch: „In den Niederlanden ist sowieso alles künstlich. Warum es dann nicht gleich selber bauen?“ Auch die Bilder vom Atelier des österreichischen Malermeisters Lois Renners haben diese seltsamen Unstimmigkeiten, die sie als Modellfotos entlarven: Mißtrauen in alles, was da zu sehen ist, wird das notwendige Rüstzeug für diese Ausstellung.
Wurde erst einmal bemerkt, daß die so ungemein altertümlich-malerisch anmutenden Agrarlandschaften des Amsterdamers Jan Koster aus Einzelaufnahmen zusammengestückelt sind und die Ideallandschaften des Salzburgers Dieter Huber elektronisch montiert, mag man auch den erklärten Dokumentaristen der Düsseldorfer Becher-Schule nicht mehr glauben. Sind die Blumenstudien vielleicht doch nur Versandhauskatalogreklame, ist die Schneelandschaft bloß überbelichtet?
Doch so neu ist diese Unsicherheit nicht, schon gar nicht für den geübten Besucher aller Ausstellungen der „1. triennale der photographie“. Denn wie die mit einer altertümlichen Lochkamera aufgenommenen Bilder der Betsy Green zeigen, wirkt die Wiedergabe der Realität gerade, wenn sie ohne jede zusätzliche Technik den einfachsten physikalischen Gesetzen folgt, absonderlicher als mit dem Einsatz von High-Tech. Landschaft an sich ist bereits ein Konstrukt: Gedacht, gemalt, fotografiert oder gebaut ist sie immer ein subjektives Konglomerat von Außensicht und Stimmungswerten.
Das belegt schon für das 16. Jahrhundert etwas weiter oben auf der Kunstmeile die Kunsthalle mit der Ausstellung zur damaligen Landschaftsmalerei in den Niederlanden.
Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 5. September / Katalog: Edition Stemmle, 55Mark
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